Klinik vor Ort - Ein neues Hüftgelenk ist echte Knochenarbeit

In der Serie "Klinik vor Ort" berichtet die Redakteurin Inga Mennen M. A. in Zusammenarbeit mit dem Chirurgen Dr. Bernd Sauer aus dem Krankenhaus Wittmund. Sie gibt einen interessanten Einblick in das zertifizierte Endoprothetikzentrum der Maximalversorgung. Heute: Die Hüftgelenkprothese
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„Eigentlich kann ich kein Blut sehen“, sagt Dr. Bernd Sauer, bis Februar 2021 Chefarzt der Orthopädie und Unfallchirurgie, Hand- und Fußchirurgie sowie Sportmedizin im Wittmunder Krankenhaus, lachend. Der Mediziner operiert lieber Hände und Füße anstatt Hüften. Aber in seiner langjährigen Laufbahn hat er schon so manches künstliche Hüftgelenk im wahrsten Sinne der Wortes eingebaut und somit vielen Menschen dazu verholfen, ein schmerzfreies Leben zu führen.

In der heutigen Veröffentlichung geht es um das Hüftgelenk, sozusagen den großen Bruder des Daumensattelgelenkes, das im Aufbau und in der Funktion dieser winzig kleinen Endoprothese gleicht. Wie beim Daumen kommt das künstliche Gelenk zum Einsatz, wenn die Knorpel am Knochenkopf und in der Pfanne verschlissen sind. „Wir operieren hier keine Röntgenbilder, sondern die Patienten“, erklärt der Mediziner. Will heißen, nur, wenn es jemand wünscht, dann wird das künstliche Hüftgelenk eingesetzt. Davon gibt es übrigens auf dem Markt 300 verschiedene Systeme. Am Ende entscheidet der Arzt, welches und mit welcher Methode der Gelenkersatz eingesetzt wird.

Bei der Operation geht es übrigens im Gegensatz zu anderen Gliedmaßen recht handwerklich zu. Säge, Raspel und Fräse – Werkzeuge, die es dem Chirurgen ermöglichen, die Endoprothese genauestens einzusetzen. Und, was eigentlich zum Maurerhandwerk gehört – Zement (in diesem Fall Knochenzement) – gibt es auch im Operationssaal. Übrigens reichen die Versuche, ein Hüftgelenk zu ersetzen, weit zurück.

Fundus. Die Gelenke datieren auf die 1950-er und 1960-er Jahre zurück. ©Inga Mennen M. A.

Der erste Chirurg war 1922 Ernest William Hey Groves. Er ersetzte einen Hüftkopf durch ein Elfenbeinimplantat. Was gut gemeint war, scheiterte daran, dass der Körper das Material abstieß und es zu Infektionen kam. Später versuchte man es mit Glas, das über den zerstörten Hüftkopf gelegt wurde. 1938 wurde erstmals die Totalprothese von Philipp Wiles eingesetzt. Mit einem Schraubenbolzen wurde der Hüftkopf an dem Schenkelhals fixiert. Es gab danach verschiedene Entwickler – den Ideen waren kaum Grenzen gesetzt.

Die Brüder Judet fertigten die Prothese aus Plexiglas an – Problem, es kam zu Lockerungen. Heute haben die künstlichen Hüften übrigens eine lange Lebensdauer. „Nach zehn Jahren sind noch 95 Prozent aller Endoprothesen funktionsfähig, nach 15 Jahren 92 Prozent“, erklärt Dr. Sauer.

Den Durchbruch bei diesen Operationen gab es Anfang der 1960-er Jahre, als der Brite Sir John Charnley das Knochenzement erfand. Und so sind wir wieder beim Maurer: Bei der Zementverankerung wird der Prothesenschaft im Markraum des Oberschenkelknochens „einzementiert“. Verwendet wird die Methode bei älteren Menschen, deren Knochendichte nachgelassen hat. Durch volle Belastbarkeit der Prothese gleich nach der Operation ist die Rehabilitationszeit des Patienten stark abgekürzt. Gerade Ältere profitieren davon. „Ein Problem bei der Methode, den Schaft mit Knochenzement im Oberschenkel zu fixieren, ist aber nicht von der Hand zu weisen“, erklärt der Chirurg. Der Befestigungsstoff, eine Art Zwei-Komponentenkleber, erwärmt sich bei Verarbeitung auf 80 Grad. Die Folge können Herz-Kreislauf-Schwächen sein. „Wichtig ist ein sehr guter Anästhesist“, sagt Dr. Sauer, der betont, Medizin ist Erfahrungswissenschaft.

Heutzutage gibt es 300 verschiedene Systeme der künstlichen Hüftgelenke. ©Inga Mennen M. A.

Zweiter Nachteil, was einmal so fest zementiert wurde, lässt sich nur schwer wieder ausbauen. Der Zement kann mit der Zeit aber ermüden. Deshalb verwenden die Chirurgen zudem die einwachsenden Endoprothesen. Der Arzt entwickelt ein Gefühl dafür, welche Prothese zu welchem Menschen passt, sagt Bernd Sauer. Früher wurden übrigens die Röntgenbilder mit Butterbrotpapier abgepaust und dann per Schablone gemessen, wie groß das jeweilige künstliche Gelenk sein muss. Heute geht das alles per Computer. Der Schnitt, minimalinvasiv, ist nur sieben bis acht Zentimeter lang.

Zudem dauert das Einsetzen der Endoprothese nur noch 45 Minuten bis maximal eine Stunde, was den Körper des Patienten schont. Allerdings, das mag den Frauen und Körperbewussten möglicherweise so gar nicht gefallen: Nach der Operation kann die Waage schon mal mehr anzeigen, denn die Endoprothese ist mit zirka 400 Gramm schwerer als der Knochen, der herausgefräst wird.

Dr. Bernd Sauer zeigt am Modell die Hüftpfanne, die in den Beckenknochen eingesetzt wird. Darin bewegt sich nach der Operation der Kugelkopf, der auf der gegenüberliegenden Seite an den Schaft im Oberschenkel befestigt wird. ©Inga Mennen M. A.

Die Operation bedeutet für den Chirurgen und sein Team nicht nur Konzentration und im wahrsten Sinne Knochenarbeit, sondern auch Kraft. Im ersten Schritt werden die Muskeln beiseite geschoben. Dann wird der Hüftkopf mit der elektrischen Säge entfernt, bevor die Fräse zum Einsatz kommt. Mit ihr wird die Hüftpfanne für das Implantat vorbereitet. Dort findet dann die künstliche Außenpfanne ihren Platz, in ihr wird die Innenpfanne gesetzt. Mit der Fräse wird Platz im Oberschenkelknochen für den Verankerungsschaft geschaffen. „Man schlägt ihn vorsichtig mit dem Hammer ein“, erklärt Bernd Sauer, der sich auf sein Gehör verlassen kann und weiß, wann der Schaft perfekt sitzt. Auf den Schaft wird der künstliche Hüftkopf gesetzt, der aus Keramik oder Metall sein kann – je nach Prothesenart.

Neun Tage bleibt der Patient auf Station. Bereits 24 Stunden nach dem Eingriff lernt er, das künstliche Gelenk langsam wieder zu belasten. Es folgt noch die dreiwöchige Reha. „Der Patient braucht Geduld, es kann dauern, bis er wieder ganz schmerzfrei ist“, erklärt Dr. Sauer. Die nächste Folge ist wieder ganz nach dem Geschmack des Chirurgen und wesentlich unblutiger – dann geht es um das Kniegelenk.

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