Was ist ein Fall für die Notaufnahme und was nicht - und wohin dann?

Die Notaufnahmen der Kliniken sind eigentlich für Patienten da, deren Leben in Gefahr ist oder denen bleibende Schäden drohen, wenn sie nicht sofort behandelt werden, weniger für Patienten, denen auch anderswo geholfen werden kann.
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Knapp 55 Prozent der Patienten, die die Notaufnahme einer Klinik aufsuchen, halten ihre Beschwerden für wenig dringend. Das hat vor zwei Jahren eine Studie von Martin Scherer und seinen Kollegen vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf gezeigt (1). Darin zeigt sich das zentrale Dilemma der derzeitigen Notfallversorgung.

Sind Verletzungen des Handgelenks und der Hand ein medizinischer Notfall, der – egal, wie die Verletzung aussieht – bei Tag und bei Nacht in der Notfallambulanz einer Klinik behandelt werden muss, oder können viele Verletzungen auch während der regulären Sprechzeiten von einem niedergelassenen Orthopäden und Unfallchirurgen versorgt werden?

Vor allem, nachdem das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) die niedergelassenen Orthopäden und Unfallchirurgen dazu verpflichtet, fünf Stunden pro Woche als offene Sprechstunde, ohne Terminvereinbarung, anzubieten.

Einer meiner Kollegen – selbst Orthopäde und Unfallchirurg – musste vor wenigen Wochen sieben Stunden in der Notfallambulanz einer nordrhein-westfälischen Klinik warten, bevor er wegen mehrerer komplizierten Knochenbrüche im Gesicht behandelt wurde, die er sich bei einem Fahrradunfall zugezogen hatte.

Es gibt viele Patienten, denen es ähnlich ergeht. Die dringenden Fälle müssen warten, weil auch Patienten mit Bagatellbeschwerden behandelt werden müssen.

Am häufigsten kommen Patienten wegen Beschwerden am Bewegungsapparat in die Notaufnahme einer Klinik. Das hat die Studie von Martin Scherer gezeigt (1) und das zeigen auch unveröffentlichte Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Baden-Württemberg.

Nach den Zahlen der KV Baden-Württemberg fallen sieben der zehn häufigsten Diagnosen in den Bereich Orthopädie und Unfallchirurgie. Angeführt wird die Liste von den bereits genannten Verletzungen am Handgelenk und der Hand. Auf dem zweiten Platz folgen Verletzungen am Knöchel und am Fuß, auf dem dritten Platz Verletzungen am Kopf. Auf Platz vier stehen Symptome im Verdauungstrakt und im Abdomen, also im Bauchraum.

Es besteht kein Zweifel daran, dass wir eine gut funktionierende Notfallversorgung brauchen, die diejenigen zuerst behandelt, denen am schnellsten geholfen werden muss.

Notfallversorgung ist Daseinsfürsorge. Unser Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte völlig recht, als er im Juli bei der Vorstellung seines Gesetzentwurfs zur Neuordnung der Notfallversorgung sagte: „Die Güte eines Gesundheitssystems zeigt sich vor allem im Notfall, wenn Menschen schnelle medizinische Hilfe benötigen“ (2).

Sein Gesetzentwurf sieht vor, dass der Notruf 112 und die zentrale Notrufnummer 116117 des ärztlichen Bereitschaftsdienstes von einer Notfallleitstelle entgegengenommen werden. Dort soll dann auf der Grundlage einer qualifizierten Ersteinschätzung eine von drei möglichen Zuordnungen vorgenommen werden.

Entweder wird direkt der Rettungsdienst eingeschaltet oder die Patienten werden an ein neu einzurichtendes integriertes Notfallzentrum einer Klinik überwiesen oder die Patienten sollen während der regulären Sprechzeiten eine Arztpraxis aufsuchen (2).

Wie sieht die Position des BVOU zur Neuregelung der Notfallversorgung aus?

  1. Wir plädieren dafür, den hausärztlichen Notdienst in der bisherigen Form zu erhalten. Die von den Kassenärztlichen Vereinigungen betriebenen Notfall- oder Portalpraxen können akute allgemeinmedizinische Erkrankungen gut behandeln. Um die Qualität weiter zu verbessern, sollten dort vor allem Fachärzte für Allgemeinmedizin tätig sein.
  2. Der rund um die Uhr präsente fachärztliche Notdienst ist Sache der Kliniken und sollte den tatsächlichen Notfällen vorbehalten sein.
  3. Unfälle und muskuloskelettale Verletzungen und Beschwerden, die keine Klinikbehandlung erfordern, sollten von niedergelassenen Orthopäden und Unfallchirurgen in den Praxen versorgt werden. Die Weiterleitung könnte über eine entsprechende App erfolgen.
  4. Die Notfallversorgung durch niedergelassene Orthopäden und Unfallchirurgen muss adäquat honoriert werden.
  5. Patienten, die sich nicht an die von der Notfallleitstelle ausgesprochene Zuordnung halten und direkt die Notfallambulanz einer Klinik aufsuchen, sollten mit 50 Euro an den Behandlungskosten beteiligt werden. Ausnahmen sind Herzinfarkte, Schlaganfälle und andere wirkliche Notfälle.

Literatur:

  1. Scherer M. et al. Patienten in Notfallambulanzen. 2017. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 114: 645-652.
  2. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/notfallversorgung.html

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