Hilfe, wir verfetten

Orthopäden schlagen Alarm: Mediziner sind besorgt über die Zahlen zum kindlichen Übergewicht, das aus Bewegungsarmut und Fehlernährung resultiert.
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Wird ein Jugendlicher heutzutage aufgefordert, so weit zu laufen, wie er kommt, schafft er etwa 600 Meter. Dann ist er außer Puste, kann nicht mehr, muss aufhören. Ein durchschnittliches Schulkind schafft es nicht länger als 20 Sekunden, im Einbeinstand zu verharren. Und etwa ein Drittel der unter Achtjährigen kann nicht mehr schwimmen.

Klingt nicht gut, kommt aber noch schlimmer. Laut einer Erhebung der Bertelsmann Stiftung betrug die Gesamtaktivitätszeit eines Erwachsenen im Jahr 1960 noch 38 Stunden pro Woche. Heute sind es zwölf. Zum Vergleich: Die Menschen, die im kenianischen Hochland leben, legen pro Woche durchschnittlich 60 bis 70 Kilometer zu Fuß zurück. Lange Strecken davon im Laufschritt. Dars zeigt, welche Bewegungsmöglichkeiten die Evolution für uns Menschen vorgesehen hat“.

Dass der menschliche Körper auf Nichtgebrauch mit Degeneration reagiert, zeigt sich unter anderem daran, dass die Erkrankungen der Haltungs- und Bewegungsorgane sowie die Stoffwechselstörungen sprunghaft zunehmen. Und dass nicht nur aufgrund der demographischen Entwicklung, die einen Anstieg etwa der Arthrose nahezu automatisch nach sich zieht – ältere Menschen leiden nun einmal häufiger an Gelenkverschleiß, das liegt in der Natur.

Aber immer mehr Kinder erkranken am Diabetes mellitus – die so genannte Altersdiabetes wird zu einer Kinderkrankheit! Und schon 20 bis 40 Prozent der Zehnjährigen leiden an Rückenschmerzen, erklärte Prof. Dr. Wolfhart Puhl, Chefarzt der Orthopädischen Abteilung des Rehabilitationskrankenhauses Ulm. Ein Drittel der deutschen Schulkinder bringe zu viel auf die Waage, und dieses Übergewicht ziehe sehr häufig Haltungsschäden nach sich. Jeder dritte Schulanfänger, so Puhl, strecke den Bauch statt der Brust raus, und bei den 15-Jährigen gehe jeder zweite ins ungesunde Hohlkreuz.

Verantwortlich machte der Orthopäde vor allem die Bewegungsarmut, in die die Kinder häufig hineingedrängt werden. Mindestens drei Stunden Schulsport pro Woche, zusätzlich körperliche Aktivität in der Freizeit seien absolut notwendig. „Was die Kinder bis zum Grundschulalter an motorischen Fähigkeiten nicht erlernt haben, lernen sie nie mehr!“, warnte Puhl. Und damit stehle man ihnen wichtige Zukunftschancen.

Dass deshalb schon Kindergärtnerinnen in Sachen Bewegungserziehung geschult werden müssten und der Sportunterricht nicht mehr so ohne weiteres ausfallen dürfe, forderte Dr. Michael Clarius von der Orthopädischen Uni-Klinik Heidelberg. „Für mich ist das Kernfach Sport – trotz oder gerade wegen Pisa“, erklärte er. Und präsentierte – gar nicht so überraschende - Ergebnisse einer Untersuchung des Sportinstituts Düsseldorf: „Die Kinder, die im Sportverein sind, haben auch die besseren Noten.“ In den schwächeren Sozialräumen der Stadt seinen die Kinder dicker und hätten die schlechteren Schulnoten. „Sport ist gesundheitsfördernd, sozial relevant, und die Möglichkeit, Sport zu treiben, darf nicht am Geld scheitern!“

An der Bequemlichkeit der Eltern allerdings auch nicht. Eine Frage müssen wir uns alle gefallen lassen: Was tun wir unseren Kindern an? Wenn sie anfangen, die Welt zu entdecken, sind sie von der Natur mit einem unstillbaren Bewegungsdrang ausgestattet. Warum kommt er ihnen eigentlich abhanden? Etwa, weil wir ihnen vorleben, dass Entspannung heißt, auf dem Sofa vor dem Fernseher zu liegen und das Gehirn abzuschalten?

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