Gartentherapie: „Das orthopädische Gärtnern“

Der Garten ist ein von Menschen gestaltetes und geschaffenes Naturareal, sogenannte kultivierte Natur. So sind Gärten auch Ausdruck der Sesshaftigkeit des Menschen.
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Zunächst baute der Mensch essbare Pflanzen an, die er vor Eindringlingen oder wilden Tieren mit Zäunen oder Mauern schützte. Dieser abgegrenzte Raum wurde zum Nutzgarten, aber mit der Zeit auch zunehmend zum Genussgarten mit Naturerleben. Die Geräusche der Tiere, die Farben und Düfte der Natur können wahrgenommen werden. So ist der Garten sowohl Anbaustätte für Gemüse, Kräuter und Obst, als auch ein Ort der Naturwahrnehmung und der Besinnung.

Die Natur bestimmt mit ihrem jahreszeitlichen Ablauf und ganz ureigenen Gesetzen die Gestaltung des Gartens mit. In den Weltreligionen werden Gärten als Paradies beschrieben. Im Christentum wurde der Mensch aus dem Garten Eden vertrieben. Seitdem existiert das innere Bedürfnis, das Paradies auf Erden im Garten zu finden. Die Gestaltung und Nutzung der Gärten spiegelt die Entwicklung und die Weltanschauung der einzelnen Kulturepochen wieder. So gibt es heute öffentliche und private Gartenanlagen. Dazu gehören Gärten, die Orte der Ruhe und Entspannung sind, Nutzgärten und Gärten, die Orte der Begegnung oder Orte zum Erleben und Spielen sind.

Die Medizin nahm die Aktivität in der Natur immer wieder in ihre Empfehlungen auf. Der Orthopäde Moritz Schreber (1808 – 1861) beschäftigte sich mit der Prävention der Gesundheit der Kinder und den sozialen Folgen der Industrialisierung. Er propagierte die Ertüchtigung der Stadtjugend durch Arbeit im Grünen. Gesundheitsvorsorge sollte durch Luft, Sonne und Bewegung geschehen. Zu Ehren von Schreber wurde erst nach Schrebers Tod im Jahre 1864 der erste „Schreberverein“ mit „Schrebergärten“ von dem Schuldirektor Ernst Innozenz Hauschild in Leipzig gegründet.

Diese Gärten passten in das diätetisch-orthopädische Konzept von den Turnverbänden zur Erzielung von Gesundheit durch “körperliche Ertüchtigung“. Sie dienten im weiteren Verlauf in erster Linie als Erholung und wurden für die Selbstversorgung mit Obst und Gemüse immer wichtiger.

In den USA wird erstmalig seit 1973 die Ausbildung in der Gartentherapie an der Kansas State Universität angeboten. Die „Internationale Gesellschaft Gartentherapie“ (IGGT) wurde 2011 in das Vereinsregister eingetragen und ist die Dachorganisation für den europäischen Raum. Inzwischen werden Weiterbildungen an der Europäischen Akademie für biopsychosoziale Gesundheit in Hückeswagen, von der Caritas in Köln und an der Universität Rostock angeboten.

Im IGGT-Konzept wird die Gartentherapie wie folgt definiert: „Gartentherapie ist eine fachliche Maßnahme, bei welcher pflanzen- und gartenorientierte Aktivitäten und Erlebnisse genutzt werden, um zielgerichtet Interaktionen zwischen Menschen und Umwelt zu unterstützen, mit dem Ziel der Förderung von Lebensqualität und der Erhaltung und Wiederherstellung funktionaler Gesundheit. Die beinhaltet die Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert, die Erhaltung und Förderung von selbstbestimmter gesellschaftlicher Teilhabe und Aktivitäten, sowie die fördernde Einwirkung auf den Lebenshintergrund.“

Gartentherapie und die Aktivität im Garten sind aus orthopädischer Sicht sehr empfehlenswert. Das „orthopädische Gärtnern“ wird von dem Orthopäden Arne-Björn Jäger beschrieben. Es ist auf der Grundlage der Gartentherapie unter orthopädischen Gesichtspunkten weiterentwickelt.

Einige Auszüge aus den Empfehlungen des „orthopädischen Gärtnerns“:

  • Das Sonnenlicht ist für die Bildung des aktiven Vitamin D notwendig. Ein niedriger Vitamin D Spiegel führt zu negativer Beeinflussung des Knochenstoffwechsels. Außerdem wird die Serotoninsekretion erhöht und dadurch die Melatoninsekretion unterdrückt. Ein hoher Melantoninspiegel kann Depessionen bewirken. Bei der intensiven Frühjahrsonne sollte der UV-Sonnenschutz für die Haut und der Kopfschutz nicht vergessen werden.
  • Die Kleidung sollte Sonnen- und Zeckenschutz berücksichtigen, und die Schuhe sollten dem Gelände angepasst sein.
  • Am Beginn der Tätigkeit und des Aufenthaltes sollte die Luft sollte bewusst ein- und ausgeatmet werden. Dadurch werden die Luft und die Gerüche bewusst wahrgenommen. Das kurze Schließen beider Augen während der bewussten Atmung schärft nach dem Wiederöffnen der Augen die Wahrnehmung und Konzentration des Sehens. Auch die Hörfunktionen werden durch das kurze Schließen der Augen geschärft. Der Aufenthalt in der Natur wird somit mit allen Sinnen wahrgenommen und der Mensch geht als Teil der Natur eine Verbindung mit dieser ein. Die Dauer des Augenschließens sollte mindestens einige Sekunden betragen. Dieser Vorgang hat einen meditativen Charakter und symbolisiert die bewusste Trennung vom Alltag zur Vorbereitung auf den Aufenthalt in der Natur.

Der Atmungsrhythmus und das Herzkreislaufsystem werden beeinflusst. Der Mensch kommt zur inneren Ruhe und kann sich auf die Natur einlassen. Im Verlauf der gärtnerischen Tätigkeit können das ständige Wiederholen monotoner Tätigkeiten, wie z.B. das Auflesen von Blättern und das Zupfen verblühter Blumen auch einen meditativen Charakter haben.

©Arne-Björn Jäger
  • Die Tätigkeit sollte in Einheiten mit Ruhepausen zur regelmäßigen Flüssigkeitsaufnahme eingeteilt werden. Zum Beispiel 60 bis 90 Minuten Gartenarbeit mit einer 20 Minuten Pause zur Muskelentspannung und Aufnahme von Flüssigkeit oder leichtverdaulicher Nahrung.
  • Bei Beginn der Tätigkeit sind Lockerungsübungen, die auch mit Gartenarbeitsgeräten durchgeführt werden können, sinnvoll. Dabei sollten die Extremitätengelenke und der Rumpf mobilisiert werden. Die Muskulatur wird dabei detonisiert. Dies sollte vor allem vor dem Tragen von schweren Lasten wie Säcke mit Pflanzerde oder Pflanzgefäße, welches meist zur Vorbereitung der Aufnahme von der Gartenarbeit notwendig ist, durchgeführt werden. Denn bei den Tätigkeiten kommt es zu ständiger Tonussteigerung der Muskulatur der betroffenen Körperregion und des Rumpfes.
©Arne-Björn Jäger
  • Beim Anheben und Tragen von Lasten ist auf die Körperhaltung und Muskelanspannung zu achten. Die Rumpf- und Rückenmuskeln sollten bewusst angespannt werden. Das Anheben der Last sollte initial aus dem Oberschenkel bei angespannter Rumpf- und Rückenmuskulatur erfolgen. Dabei sollte das Ein- und Ausatmen nicht vergessen werden. Der Körper sollte nur kurzzeitig einseitig belastet werden, besser ist das Tragen von zwei nicht so vollen Gießkannen links und rechts zur gleichmäßigen Belastung als eine volle Gießkanne einseitig.
  • Das Ziehen oder Schieben einer Schubkarre sollte unter Anspannung der Muskulatur vom Schultergürtel und Rumpf erfolgen. Die Fortbewegung geschieht durch betonten Einsatz der Oberschenkelmuskulatur vom Köperschwerpunkt aus.
  • Es sollte auf wechselnde Köperhaltungen beim Graben, Hacken oder Harken geachtet werden. Bei Ermüdung der Muskulatur ist eine kurze Pause angezeigt. Wenn der Muskeltonus nicht gehalten werden kann und die Muskelkraftausdauer erschöpft ist, droht eine Mehr- und Überlastung der Gelenkstrukturen. Die Muskulatur kann Gelenke entlasten.
  • Das bewusste Auftreten der Füße mit Stabilität in Sprung- und Kniegelenken unter Wahrnehmung der Beinachse ist zur Verbesserung der Propiozeption beim Gehen im Gelände angezeigt. Die Wahrnehmung des Körperschwerpunktes mit Gleichgewichtskontrolle ist besonders bei Tätigkeit am Hang gefordert.
  • Die aufrechte Haltung des Kopfes reduziert die Belastung auf die Halswirbelsäule.
  • Die intensive Wahrnehmung des eigenen Körpers mit gezielter Steigerung und Halten des Muskeltonus bei den entsprechenden Bewegungen und Köperhaltungen fordert das Nervensystem, so dass eine o.g. Pause nach 60 oder 90 Minuten sinnvoll ist.

Durch das Einlassen auf die Natur, das Abschalten des Alltags und das Zulassen der Inspiration hat die Tätigkeit im Garten einen meditativen Charakter. Das orthopädische Gärtnern trainiert und verbessert die Gelenkbeweglichkeit, die Gelenkstabilität, die Muskelkraft, die Muskelkraftausdauer und die Bewegungskoordination. Daneben werden durch die Tätigkeit bei Sonnenlicht der Vitamin D-Stoffwechsel und der Serotoninstoffwechsel positiv beeinflusst.

Der Garten ist ein Naturerlebnisraum, der die Psyche inspiriert, die Physis trainiert und dem Menschen bewusst macht, dass er ein Teil der Natur ist. Der Mensch erfreut sich an der Natur und kann seiner Kreativität bei der Gartengestaltung freien Lauf lassen. Er sieht nach Beendigung der Tätigkeit die Veränderung seiner kultivierten Natur.

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