Frozen Shoulder
Die Stärke der deutschen Sprache liegt in ihrer Exaktheit, die der englischen in ihrem häufigen Spiel mit übertragenen Bedeutungen. Beispiel: Auch ohne weitere Erklärung können wir uns ausmalen, was es mit einer „Schultersteife“ auf sich hat.
Im englischen Sprachraum heißt das „frozen shoulder“ („eingefrorene Schulter“) – ein Begriff, der uns die Symptome der Erkrankung recht bildhaft vor Augen ruft.
Es gibt zwei Formen der Schultersteife: zum einen die idiopathische oder primäre Schultersteife mit unbekannten Ursachen; zum anderen die sekundäre Form, die als Folge von Verletzungen oder Überlastungen auftritt.
Bei etwa einem Drittel der Patienten sind beide Schultern „eingefroren“. Prinzipiell kann die Erkrankung jeden treffen, am häufigsten sind Frauen nach der Menopause betroffen.
Warum friert die Schulter ein?
Stoffwechselstörungen wie Diabetes mellitus, Schilddrüsenerkrankungen und Fettstoffwechselstörungen fördern die Erkrankung, möglicherweise ist sie auch erblich. Was genau die primäre Schultersteife auslöst, ist jedoch unklar.
Die sekundäre Form kann nach einer Verletzung oder Überlastung der Schulter, beim Schulterengpass-Syndrom, der Kalkschulter oder bei Ruhigstellung nach Operationen auftreten. Auch Medikamente (beispielsweise Zytostatika oder Herzmittel wie Amiodaron-HCL) können die Schultersteife auslösen.
Die Krankheit spielt sich in der Gelenkkapsel ab. Erst entzündet sich das Kaspelbindegewebe, dann verhärtet und schrumpft es. Dieser Vorgang heißt „Kapselfibrose“.
Aufgrund dieser Fibrosierung und Schrumpfung verliert das Schultergelenk zunehmend an Beweglichkeit. Vor allem das Heben und das Drehen des Armes nach außen verursachen Schmerzen.
Die Krankheit verläuft in drei Phasen und kann insgesamt bis zu zwei Jahren andauern. Die Betroffenen wissen oft nicht, wann genau die Krankheit ausgebrochen ist, da sie ohne erkennbare äußere Ursache beginnt und die Schmerzen in der Schulter erst allmählich zunehmen.
Auf den Frostfolgt Tauwetter
In der ersten Phase, der „freezing phase“ („Gefrierphase“), nehmen Schmerz und Bewegungseinschränkung stark zu. Der Höhepunkt der Erkrankung findet in Phase Zwei – der „frozen phase“ („gefrorene Phase“) – statt: Es kommt zur schmerzhaften Einsteifung des Gelenks.
Paradox ist, dass sich die Schmerzen am Ende dieser Phase etwas abschwächen. Es bleibt eine Bewegungseinschränkung, und ein Verlust an Muskelmasse („Muskelverschmächtigung“) setzt ein.
In Phase Drei kommt es sehr häufig zu einem spontanen „Auftauen“ der Schulter, die Schmerzen verschwinden und die Beweglichkeit des betroffenen Gelenkes bessert sich wieder.
Deshalb wird diese Phase der Erkrankung auch „thawing phase“ („Tauphase“) genannt. Allerdings tauen nur wenige Schultern von selbst wieder auf. Meistens sind die Beschwerden von Dauer. Besonders häufig ist das bei der sekundären Form der Schultersteife der Fall.
Eckpfeiler bei der Diagnose sind eine ausführliche Anamnese (= Rekapitulation der Krankheitsgeschichte) sowie die körperliche Untersuchung. Röntgen oder Ultraschall haben eher eine untergeordnete Bedeutung und dienen lediglich dazu, eventuelle Begleitschäden (beispielsweise Kalkschulter, Riss der Rotatorenmanschette, Bursitis subacromialis) auszuschließen.
Die Kontrast-Kernspintomographie, bei der ein Kontrastmittel direkt ins Gelenk injiziert wird, liefert wertvolle Angaben über das Ausmaß der Kapselschrumpfung.
Geduld und Schmerztherapie
Die Therapie der Schultersteife zielt zunächst auf eine Behandlung der Schmerzen und der Bewegungseinschränkung. Da ein Aufhalten der Erkrankung oder gar eine Heilung zumindest zu einem frühen Zeitpunkt nicht möglich sind, müssen Patienten und Therapeuten den phasenartigen Verlauf des Krankheitsbildes abwarten und große Geduld aufbringen.
In der akuten schmerzhaften ersten Phase werden hauptsächlich schmerzlindernde Mittel (Analgetika) verschrieben. In ausgewählten Fällen lindern auch Kortisoninjektionen in das betroffene Gelenk oder Kortisontabletten zumindest kurzfristig die Schmerzen. Kortison hat allerdings Nebenwirkungen, beispielsweise Durchblutungsstörungen.
Eine physiotherapeutische Behandlung in Phase Eins ist nicht sinnvoll, da eine Verbesserung der Beweglichkeit zu diesem Zeitpunkt nicht erreicht werden kann. Mit der Physiotherapie sollte erst begonnen werden, wenn der Schmerzgipfel bereits überschritten ist. Typischerweise ist das in der zweiten Hälfte von Phase Zwei der Fall.
Schultersteife arthroskopisch lösen
Wenn Medikamente nicht helfen und die Schultersteife nicht spontan ausheilt, ist eine Operation angeraten. Die früher häufig praktizierte so genannte „Narkosemobilisation“, bei der die Schulter des Patienten in Vollnarkose gewaltsam mobilisiert wurde, sollte heute nicht mehr routinemäßig angewandt werden.
Es besteht bei diesem Vorgehen das Risiko, dass die Kapsel von der Gelenkpfanne abreißt. Deshalb ist es sinnvoller, die krankhaft veränderten Kapselanteile „unter Sicht“, das heißt arthroskopisch durch ein langes schmales Rohr, das in das Gelenk eingeführt wird, zu durchtrennen.
Dieser minimalinvasive Eingriff hat für die Patienten den Vorteil, dass die notwendigen Haut- und Gewebeschnitte sehr klein sind und die Wundheilung in aller Regel nur wenige Tage in Anspruch nimmt. Gleichzeitig ermöglicht der direkte Blick durch das Arthroskop in das befallene Gelenk dem Operateur ein zielgenaues Vorgehen.
Das Risiko, das während der Operation benachbarte Gelenkstrukturen verletzt werden, ist wesentlich geringer als bei einer kompletten Öffnung des Schultergelenks. Eine gleichzeitige sanfte Narkosemobilisation kann die Beweglichkeit der Schulter noch weiter verbessern.
Kooperation Patient-Arzt-Therapeut
Nach dem Eingriff ist eine konsequente Schmerztherapie für etwa drei bis fünf Tage angesagt. Bewährt hat sich die Ausschaltung der Schmerzen über einen so genannten Schmerzkatheter, über den sich die Patienten je nach Bedarf selbst Schmerzmittel verabreichen können.
Die Beweglichkeit, die in der Operation erreicht wurde, sollte jetzt zusätzlich durch Physiotherapie stabilisiert und behutsam weiter ausgebaut werden. Nur wenn Patient, Arzt und Therapeut von Anfang an eng und vertrauensvoll zusammen arbeiten, ist bei der Schultersteife, die das langwierigste Krankheitsbild in der Orthopädie ist, ein optimales Behandlungsergebnis zu erreichen.