Klinik vor Ort: Die Annegret ist ein echter Lebensretter

„Neulich ist Annegret jemand hinten drauf gefahren. Da mussten wir zwei Wochen mit Günther vorlieb nehmen“. Dr. Andreas Otto lacht. Von was der Flottillenarzt am Bundeswehrkrankenhaus Westerstede hier so liebevoll spricht? Nein, nicht von einem kleinen Fiat – er redet von einem Zehn-Tonner – einem Intensiv-Transporter, von denen es in Niedersachsen nur sechs Stück gibt. Warum die Belegschaft der Notfallsanitäter und Ärzte, die auf der mobilen Intensivstation fahren, den Wagen nun gerade Annegret genannt haben, bleibt offen. Fest aber steht, dass sich alle mit ihrem „Super-Lkw“ identifizieren und ihn auch gerne vorstellen.
Seit April 2020 im Einsatz
In Empfang genommen werden wir von den Notfallsanitätern Sabrina Kiesling und Benjamin Boye. Beide sind Berufssoldaten und im Bundeswehrkrankenhaus Westerstede tätig. Sie sind es auch, die die Patienten auf den Transporten begleiten. Durch den Hintereingang geht es hinaus und da steht es – das Prachtexemplar Annegret. „Wir haben Glück, dass wir nicht gerade eine Fahrt haben“, sagt die 33-jährige Sabrina Kiesling. Denn der Transporter, der seit April 2020 in Westerstede im Einsatz ist, ist ein gefragter Lastwagen. Er verfügt über vieles, was ein normaler Rettungswagen nicht hat. Annegret ist dafür angefertigt und speziell ausgerüstet worden, um Intensiv-Patienten zu transportieren.

Gründe für einen solchen Transport von Patienten in eine Spezialklinik können beispielsweise eine Organtransplantation oder auch Therapieverfahren für Patienten mit einer SARS-CoV-2-Infektion (Corona) sein. „Allerdings machten die Covid-Transporte nur Einfünftel unserer Fahrten aus“, erklärt der Facharzt für Anästhesiologie und Intensiv- und Notfallmedizin, Dr. Otto. Mit dem Fahrzeug können nämlich auch sehr schwergewichtige Menschen verlegt werden. „Es ist nicht das Gewicht oftmals das Problem, sondern die Verteilung der Körpermasse“, sagt Benjamin Boye mit Blick auf die hydraulische Trage.

Beatmungsgeräte und Sauerstoffflaschen
Im Inneren des Wagens sieht alles aus wie auf einer Intensivstation. Da gibt es die verschiedenen Infusions- und Medikamentenpumpen, Überwachungsmonitor, die Sauerstoffflaschen, zwei Beatmungsgeräte und auch eine Befestigungshilfe, auf der die Herz-Lungenmaschine arretiert werden kann. „Die Annegret ist kein Fahrzeug, das akut zu Rettungseinsätzen alarmiert wird, obwohl wir auch diese Ausstattung an Bord haben“, erklärt Sabrina Kiesling. Das Fahrzeug wird angefordert von der Koordinierungsstelle für Intensivtransporte des Landes Niedersachsen (KoST) , die die Einsätze – im Jahr sind es durchschnittlich 3500 – koordiniert.
Dienst von montags bis freitags
Zwei Notfallsanitäter und ein Facharzt begleiten den Patienten auf der Fahrt. „Wir sind von montags bis freitags von 7 bis 19 Uhr im Einsatz“, sagt die Notfallsanitäterin. In der Regel sind die Fahrten innerhalb Niedersachsen, aber wenn es in einem anderen Bundesland mal „klemmt“, helfen Annegret und ihre Besatzung gern. Und so führte sie in der vergangenen Woche die bislang längste Fahrt über 16 Stunden nach Sachsen hin und wieder zurück. „Das waren 1195 Kilometer“, sagt Benjamin Boye. Lastwagen dürfen eigentlich nur bis zu 80 Kilometern in der Stunde fahren.
Der Intensivtransporter hat aber eine Ausnahmegenehmigung, er darf sich mit bis zu 110 km/h bewegen. Schließlich soll bei dem Transport, so gut die Versorgung an Bord auch ist, nicht unnötig Zeit verschwendet werden. Zeit aber braucht es, bis der Patient von der Station in den Transporter gebracht werden kann. „Im Schnitt dauert das eine halbe Stunde“, erklärt Sabrina Kiesling. Nach jeder Fahrt nimmt es eine Stunde in Anspruch, die Gerätschaften aufzufüllen und zu desinfizieren. Und Annegret muss auch von außen mal in die Waschhalle. „Ich glaube, das wird mal wieder Zeit“, sagt Benjamin Boye und guckt auf das neongelbe Schmuckstück.
Auf Instagram 2600 Follower
Ausgerüstet ist der Wagen auch, um kleine Kinder zu transportieren. Eigentlich lassen Mediziner und Notfallsanitäter das Schicksal der Patienten nicht an sich heran. Aber, wenn es um Mädchen und Jungen geht, kennt ihre Phantasie keine Grenzen. „Wir hatten ein 18 Monate altes Kind, das verlegt werden musste. Die Eltern konnten nicht mit uns fahren“, sagt Andreas Otto. Damit sich der Kleine aber wohl fühlte in dem doch sterilen Wagen, haben die Begleiter das Innere der Annegret mit kleinen Mobiles aufgehübscht – worüber sich das Kind natürlich freute. Manchmal wirken die Transporte auch nach, wie der des 13-jährigen Jungen. „Den haben wir zu einer Organtransplantation gefahren. Er bekam ein neues Herz“, sagt Dr. Otto. Für die Besatzung des Intensivtransporters war es schön, als das Kind sich regelmäßig meldete, berichtete, dass es die Operation gut überstanden hatte und dann Bilder aus der Reha schickte. „Natürlich machen die Menschen, die uns vor einem Krankenhaus sehen, oft große Augen. Ist ja auch nicht alltäglich so ein Fahrzeug“, beschreibt Benjamin Boye.
Zu sehen ist Annegret, die übrigens in der Anschaffung um die 400 000 Euro kostet, oft in den sozialen Medien. Sie hat einen eigenen Instagram-Account mit 3000 Followern. Auf dem Tacho hat der Transporter, der schon mal 30 Liter auf 100 Kilometern braucht und dessen Tank 125 Liter fasst, schon fast 200000 Kilometer.