Langzeittherapie mit starken Schmerzmitteln

Vor dem Einsatz von starken Schmerzmitteln sollte zunächst die Behandlung ohne Medikamente, wie z.B. die Physikalische Therapie oder Physiotherapie optimiert werden. Die Entscheidung über die Art und Dauer der Therapie muss immer individuell ärztlich und in Absprache mit dem Patienten getroffen werden.
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Empfehlungen für die Langzeittherapie mit starken Schmerzmitteln

Bevor Opioide zum Einsatz kommen, sollte überlegt werden, ob nicht schwächere Medikamente ausreichen. Die Indikation für diese starken Schmerzmittel ergibt sich, wenn schwächere Medikamente nicht ausreichen, nicht vertragen werden oder nicht gegeben werden dürfen. Speziell für den Arthroseschmerz gilt hier noch die Einschränkung, dass eine Operation mit einem Kunstgelenk nicht gewünscht und/oder (aktuell) nicht möglich ist.

Opioide sind auch nur dann indiziert, wenn es sich um zumindestens vorrangig einen körperlichen Schmerz handelt, und nicht ein Schmerzgefühl bei psychischen Störungen und Erkrankungen. Hierbei sollte es sich um eine therapeutische Einschätzung handeln – manche Patienten können die Ursache ihrer Schmerzen nicht selber richtig einschätzen. Diese Empfehlung gilt nicht nur für die Therapie ab der 4. Woche, sondern auch schon vorher.

Im April 2020 wurde die neue Leitlinie “Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen (LONTS)” veröffentlicht. Diese Leitlinie mit dem höchsten Gütegrad S3 stellt die aktuellen wissenschaftlichen Empfehlungen für die Behandlung über einen längeren Zeitraum mit Morphinen oder morphinähnlichen Medikamenten dar. Hierbei handelt es sich um eine Leitlinie und nicht um eine Richtlinie, also eine Empfehlung ohne rechtlich bindenden Charakter. Die Entscheidung über die Art und Dauer der Therapie soll immer individuell ärztlich und in Absprache mit dem Patienten getroffen werden.

Was sind Opioide?

Opioide sind Substanzen, welche in bestimmten Strukturen des Gehirns spezifische Rezeptoren besetzen und damit die Schmerzwahrnehmung hemmen. Der bekannteste Vertreter ist das Morphium, es existieren aber noch eine Reihe anderer Substanzen mit z.T. schwächerer, z.T. aber auch stärkerer Wirkung. Dazu gehören z.B. Buprenorphin, Codein, Fentanyl, Oxycodon, Tapendadol, Tilidin und Tramadolor.

Substanzklassen und Dosierungen

Man unterscheidet hier pragmatisch zwei Klassen, und zwar solche, welche auf einem normalen Rezept verordnet werden dürfen (Klasse II nach WHO), von solchen, welche nur auf einem speziellen Rezept nach dem Betäubungsmittelgesetz (BTM-Rezept, Klasse III nach WHO) verordnet werden dürfen. Gängige Vertreter für ein Opioid der Klasse II sind Tramadolor und Tilidin. Beim Tilidin wurde jedoch in den letzten Jahren eine Änderung durchgeführt: Tilidin-Tropfen sind nun BTM-pflichtig, da sie rasch in der Wirkung einsetzen und häufig in der Drogenszene missbräuchlich genutzt werden. Die anderen Substanzen sind in die Klasse III eingestuft.

Die einzelnen Substanzen werden in der Regel in verschiedenen Dosierungen angeboten. Die Wirkung hängt nicht nur von der Art der Substanz, sondern auch von der Dosis ab. Ein prinzipiell schwächeres Opioid in höherer Dosierung kann ähnlich wirksam sein wie ein prinzipiell stärkeres Opioid in geringerer Dosierung.

Welche Indikationen werden behandelt?

Die Leitlinie gibt Empfehlungen für die Behandlung folgender Erkrankungen:

  • Rückenschmerz
  • Arthroseschmerz
  • Diabetische Polyneuropathie
  • Postzosterneuralgie
  • Phantomschmerz
  • Anhaltende Schmerzen nach Rückenmarksverletzung
  • Radikulopathie (“Ischialgie”)
  • Nicht-diabetische Polyneuropathien
  • Rheumatoide Arthritis mit anhaltenden Beschwerden
  • Restless – legs -Syndrom
  • Morbus Parkinson.

Wie lange soll behandelt werden?

Zeitrahmen und Empfehlungsgrade

Man unterscheidet drei verschiedene Zeitrahmen: 4-12 Wochen, 13-26 Wochen und länger als 26 Wochen.

Für die einzelnen Indikationen werden Empfehlungen in verschiedenen Graden ausgesprochen:

  • starke Empfehlung: sehr gute wissenschaftliche Absicherung, die Therapie soll erfolgen
  • Empfehlung: gute wissenschaftliche Absicherung, die Therapie sollte erfolgen
  • offene Empfehlung: geringe wissenschaftliche Absicherung, die Therapie kann erfolgen
  • negative Empfehlung: gute wissenschaftliche Absicherung für einen nicht hinreichend bewiesenen Therapieeffekt, die Therapie sollte nicht erfolgen
  • stark negative Empfehlung: sehr gute wissenschaftliche Absicherung für einen nicht hinreichend bewiesen Therapieeffekt, die Therapie soll nicht erfolgen.

Zeitrahmen 4-12 Wochen

Für alle Indikationen wird eine Empfehlung für den Zeitraum von 4-12 Wochen ausgesprochen, mit einer Ausnahme: beim Morbus Parkinson wird die Therapie nicht empfohlen. Für die diabetische Polyneuropathie gilt eine starke Empfehlung, die Behandlung soll also durchgeführt werden. Für die Radikulopathie und die Rheumatoide Arthritis mit anhaltenden Beschwerden gilt eine offene Empfehlung, die Therapie kann also durchgeführt werden. Für die anderen Indikationen gilt eine Empfehlung, die Therapie sollte also durchgeführt werden.

Zeitrahmen 13-26 Wochen

Für den Zeitraum von 13-26 Wochen ergibt sich für keine der Indikationen eine starke Empfehlung. Für den Rückenschmerz und den Arthroseschmerz wird bei guter wissenschaftlicher Absicherung eine Therapieempfehlung abgegeben. Für alle anderen Indikationen ist die wissenschaftliche Absicherung nicht hinreichend, es gilt eine offene Empfehlung: man kann es also machen, wenn die Patienten auf die Behandlung ansprechen.

Zeitrahmen nach der 26. Woche

Für den Zeitraum nach der 26. Woche liegt für keine der Indikation eine hinreichende wissenschaftliche Absicherung vor. Für alle Indikationen wird hier nur eine offene Empfehlung ausgesprochen.

Bei einer Einstellung auf ein Opioid sollen die Patienten darüber aufgeklärt werden, dass potenziell einige Nebenwirkungen auftreten können, jedoch nicht müssen:

So kann es zu sexuellen und endokrinen Störungen kommen, eine erhöhte Sturzneigung kann resultieren, beim Schlaf kann es zu Atmungsstörungen kommen. Vor der Kombination von Opioiden mit Beruhigungsmitteln (Tranquilizer) wird eindeutig gewarnt (stark negative Empfehlung).

Literatur und Links

AWMF: Graduierung der Empfehlung
https://www.awmf.org/leitlinien/awmf-regelwerk/ll-entwicklung/awmf-regelwerk-03-leitlinienentwicklung/ll-entwicklung-graduierung-der-empfehlungen.html
abgerufen 13.09.2020

AWMF: Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen (LONTS)
https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/145-003l_S3_LONTS_2020-04.pdf

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