Klinik vor Ort: Finger ab - Der Ausgang eines Hochzeitsspaßes

In der Serie "Klinik vor Ort" berichtet die Redakteurin Inga Mennen M. A. in Zusammenarbeit mit dem Chirurgen Dr. Bernd Sauer aus dem Krankenhaus Wittmund. Unzählige Verletzungen hat Handchirurg Dr. Bernd Sauer schon gesehen – Einige blieben ihm besonders in Erinnerung.
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„Herr Doktor, ich habe da ein Problem. Mir ist der halbe Fingernagel beim Fensterputzen abgerissen.“ Okay, kein Fall für einen zertifizierten Handchirurgen. Der hat nun wirklich weitaus Schlimmeres in seiner Laufbahn gesehen. Und wer wissen möchte. was, der sollte sich einmal mit den sogenannten Traumatologie-Foren beschäftigen. „Handverletzungen, das ist ein weites Feld“, sagt Dr. Bernd Sauer, der sein „Handwerk“ versteht und der nie mit der für die Extremitäten gefährlichen Nagelpistole hantieren würde.

Glatte Schnitte sind dem Chirurgen lieber

„Handverletzungen sind manchmal saisonabhängig“, sagt Bernd Sauer, Ex-Chefarzt der Orthopädie und Unfallchirurgie, Hand- und Fußchirurgie sowie Sportmedizin im Wittmunder Krankenhaus. Vor allem im Herbst und Winter kann es da schnell einmal gehäuft zu Schnittverletzungen kommen, weil – oft Männer – mit der Kreissäge hantieren, um Holz für den Kamin zu zerkleinern. Dabei seien gerade die Schnitte durch Kreissägen fast immer ein Fall für eine Amputation der Gliedmaßen. „Die Säge rotiert, da bleibt kaum Gewebe, das sich reparieren beziehungsweise anflicken lässt“, sagt der Mediziner. Glatte Schnitte sind dem Chirurgen lieber, der gefühlt 300 Jahre studiert hat, wenn er von den „schönsten“ Operationen erzählt.

27 Knochen, acht Beugesehnen

Die Hand nämlich ist nicht nur existenziell wichtig, sondern auch komplex im Aufbau. Sie besteht aus 27 Knochen. Jeder Finger hat zwei Beugesehnen. Die Hand insgesamt hat neun, denn der Daumen, der für uns zum Greifen so wichtig ist, hat eine Beugesehne. Versorgt werden die Finger von dem Mittelnerv und dem Ellennerv. Nerven, Sehnen, Arterien – all das zusammen befindet sich unter unserer Haut in den Händen, über die man sich kaum Gedanken macht. Wer kennt es nicht, dass man sich schnell einmal geschnitten hat. Oberflächlich nur eine kleine Wunde – doch das „Innenleben“ kann in Mitleidenschaft gezogen werden. Deshalb empfiehlt es sich bei Verletzungen dieser Art, wenn sie tiefer gehen, einen Arzt aufzusuchen.

Übrigens sind laut Statistik bei 40 Prozent aller Arbeitsunfälle die Hände betroffen. Aber auch in der Freizeit kann so manches Missgeschick passieren. So wie sich ein Verwandter des Arztes mit der oben genannten „Foltermaschine“, der Nagelpistole, den Nagel direkt durch den Daumen und dann in den Holzbalken gerammt hat. „Den Balken hat er abgesägt, der passte nicht ins Auto“, erzählt Bernd Sauer mit einem Augenzwinkern. Der Nagel wurde entfernt, glücklicherweise ist er nicht durch den Knochen gegangen. Eine besondere Gefahr bei diesen Verletzungen geht von Infektionen aus. Der Nagel ist nie steril und so muss der behandelnde Arzt die Wunde aufschneiden und sie vor allem säubern. Am Ende blieb der Daumen voll funktionsfähig.

Da erging es dem Bräutigam schon schlechter, der bei Bernd Sauer auf dem „Tisch“ landete. Gerade frisch vermählt und mit dem neuen Ring an der Hand, hatten sich Freunde einen kleinen Spaß ausgedacht. Nach dem Standesamt sollte der Mann über einen kleinen Zaun springen. Den Joke wird er nie mehr vergessen. „Der Bräutigam ist mit dem Ring am Zaun hängen geblieben und riss sich so Haut, Gewebe, Nerven – kurzum alle Weichteile – ab“, erinnert sich der Chirurg. Was blieb waren die blanken Knochen. „Es erübrigt sich zu erklären, dass wir den Finger dann amputieren mussten“, sagt Dr. Bernd Sauer.

Der zertifizierte Handchirurg Dr. Bernd Sauer zeigt das Bild eines Fixateur externe. Mit Hilfe dieses Festhalters gelang es dem Arzt den Arm einer Patientin zu retten. ©Inga Mennen M.

Statt Amputation den Arm erhalten

In seiner langen Laufbahn kann sich der 67-Jährige aber noch an einen Fall erinnern, der schon Jahre zurückliegt und bei dem ihm seine Kollegen zur Amputation geraten hatten. „Ich bin recht ehrgeizig“, sagt Bernd Sauer. Es war eine junge Frau, sie hatte gerade ihren Motorradführerschein gemacht. Auf der Autobahn stürzte sie mit der Maschine und glitt unter die Leitplanke. „Mit dem Arm blieb sie hängen“, erinnert sich der Arzt. Trümmerbrüche in Handgelenk und an der Ellenspeiche sowie abgetrennte Sehnen sowie Gewebeverletzungen waren die Folge. Mit einem Fixateur externe („äußerer Festhalter“) wurde der Arm für vier Wochen ruhiggestellt. Danach folgten einige Eingriffe, bei denen auch Knochen transplantiert wurde. In diesem Fall ein Stück aus dem Beckenkamm zur Stabilisierung des Knochens am Handgelenk. „Unser Körper hat wunderbare Ersatzteile vorbereitet“, sagt Dr. Bernd Sauer. Über das aus dem Becken herausgetrennte Stück wird Gewebe wachsen und der Knochen im Handgelenk wird verwachsen. Sauers Ziel war es, den Arm zu erhalten – vollfunktionsfähig ist er leider nicht mehr geworden. Aber die Frau ist dem Chirurgen nach Jahren immer noch dankbar.

Dann gab es da noch den Fall des Mannes, dem in der Hand die Kartusche der Wühlmausfalle explodiert ist. „Da kann man nur noch retten, was zu retten ist“, sagt Bernd Sauer. Mit einer speziellen Nähtechnik ist es möglich, Sehnen wieder miteinander zu verbinden. „Die Muskeln sind wie Pferde an einem Wagen. Wenn das Geschirr abhandenkommt, dann laufen die Tiere weg und der Wagen bleibt stehen“, erklärt der Chirurg einmal mehr anschaulich. Und so ist es mit den Sehnen, die dafür sorgen, dass sich die Gelenke bewegen. Sie sind wie Gummibänder, die man wieder miteinander verbinden kann. „Liegt das Gummiband aber zu lange ungenutzt, wird es spröde“, so der Handchirurg. Sprich bei Verletzungen dieser Art ist es wichtig, schnell zu operieren.

Kleine Anweisung, wie man mit amputieren Fingern umzugehen hat. ©Inga Mennen M.

Ab Mitternacht kommen die Knaller

Lebhaft in Erinnerung sind dem Arzt noch Dienste, die er zu Silvester wie zum Beispiel im Krankenhaus Hannover ableistete. „Ab Mitternacht kamen dann im wahrsten Sinne des Wortes die Knaller in die Notaufnahme“, erinnert sich Dr. Bernd Sauer. So spannt sich der Bogen zum nächsten Teil der Serie „Klinik vor Ort“. Dann berichtet Dr. Hagen Behnke, Chefarzt der Anästhesiologie, Intensiv- und Schmerzmedizin und Notfallmedizin im Wittmunder Krankenhaus, über die Arbeit der Notärzte, die nicht nur zu Silvester allerhand zu tun haben.

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