Karpaltunnelsyndrom - Stau im Nervenkanal
Meistens kann nur eine Operation die Schmerzen wirkungsvoll beseitigen und die Kraft in der Hand wiederherstellen.
Ilona hielt es nicht mehr länger aus. Seit Tagen konnte sie vor Schmerzen in der Hand nicht mehr schlafen. Angefangen hatte es harmlos: mit einem kaum spürbaren Kribbeln in Daumen, Zeige- und Mittelfinger. Daraus waren leichte Schmerzen geworden, die aber nachließen, wenn sie die Hand kräftig ausschüttelte oder unter fließendes, kaltes Wasser hielt. Mit der Zeit waren ihr die Schmerzen bis in den Unterarm, gelegentlich sogar bis in die Schulter geschossen. Am schlimmsten fand sie jedoch diesen nächtlichen Ruheschmerz, der ihr den Schlaf raubte. Sie ging zum Orthopäden. Der diagnostizierte ein Karpaltunnelsyndrom.
Schmerzhafter Druck im Handgelenk
Der Karpaltunnel ist eine schmale, halboffene Rinne, durch die ein Nerv und die Beugesehnen vom Unterarm in die Hand verlaufen. Nach oben hin wird diese Rinne von einer Bindegewebsplatte abgedeckt. Wird diese Rinne eingeengt und dadurch auf die durch sie verlaufenden Sehnen und den so genannten Medianusnerv Druck ausgeübt, kann das sehr schmerzhaft sein.
Weite Teile der Bevölkerung leiden an diesem Karpaltunnel- oder Nervenengpasssyndrom, der Großteil der Betroffenen ist zwischen 50 und 60 Jahren alt. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Knapp die Hälfte der Patienten klagt über beidseitige Beschwerden. Zu den Schmerzen vor allem nachts und am frühen Morgen, die zum Teil bis in die Schulter ausstrahlen, gesellen sich Gefühlsstörungen insbesondere von Daumen und Zeigefingerinnenseite, und manchmal ein Kältegefühl. Die Finger verlieren ihre Kraft und werden ungeschickt. Die Patienten können nicht mehr richtig zugreifen. Im weiteren Verlauf nimmt die Muskulatur am Daumenballen ab.
Das Warum bleibt oft unklar
Die Ursache der Erkrankung bleibt in vielen Fällen im Dunkeln. Entweder wird Druck von außen auf den Medianusnerv im Kanal ausgeübt – etwa durch einen Knochenbruch, eine Sehnenscheidenentzündung, einen Tumor oder ein Überbein –, oder das Karpaltunnelsyndrom ist Folge einer bestehenden Erkrankung, beispielsweise einem Diabetes mellitus.
Auch hormonelle Schwankungen wie bei einer Schilddrüsenfunktionsstörung oder während einer Schwangerschaft können ein Karpaltunnelsyndrom verursachen. Die Diagnose kann endgültig durch eine neurologische Untersuchung gesichert werden. Wichtig ist es, die möglichen Mitauslöser zu erkennen.
Haben Sie auch manchmal taube Finger und einschlafende Hände? Dann erklärt Ihnen Dr. Henning Leunert wie man sowas erkennt und was man dagegen tun kann. Viel Spaß beim Zuhören.
Manchmal hilft nur die Operation
Bevor eine Operation erwogen wird, können konservative und medikamentöse Maßnahmen ergriffen werden. Der Patient sollte die betroffene Hand nicht zu sehr belasten, nachts sollte das Handgelenk in einer Schiene ruhiggestellt werden. Gleichzeitig können entzündungshemmende oder schmerzstillende Medikamente eingenommen werden.
Ist der Nerv nach einem Unfall oder einer Entzündung stark eingeengt oder sollte sich der Zustand der Hand trotz der konservativen Maßnahmen nicht bessern, hilft nur noch eine Operation. Um den Druck auf den Medianusnerv aufzuheben, wird dabei die Bindegewebsplatte oberhalb des Kanals durchtrennt. Zusätzliche Mitauslöser des Karpaltunnelsyndroms werden beseitigt: Ganglione (Weichteiltumore) oder entzündetes, verdicktes Sehnengleitlagergewebe werden herausgeschnitten.
Prinzipiell sind zwei Operationsverfahren möglich. Liegen Begleitursachen des Karpaltunnelsyndroms vor, wird heute ein offenes Operationsverfahren gewählt, um diese Auslöser gleich mit beseitigen zu können. Hier hat sich die so genannte Mini-Open-Technik durchgesetzt. Weil dabei nur sehr kleine Schnitte angelegt werden, werden die empfindlichen Partien des Handgelenks geschont. Ein Karpaltunnelsyndrom ohne erkennbaren Auslöser kann auch endoskopisch operiert werden. Auch dabei sind lediglich nur kleine Hautschnitte nötig. Nachteilig ist, dass dabei der Karpalkanal nicht eingesehen werden kann. Beide Operationsverfahren – sowohl Mini-Open als auch endoskopisch – haben inzwischen bis auf Ausnahmen (beispielsweise bei schweren und ausgedehnten rheumatischen Sehnenentzündungen) die klassische große und offene Karpaltunneloperation abgelöst. Im Langzeitverlauf zeigen sich keine Unterschiede zwischen beiden Operationsverfahren.
Sofort nach der Operation sollte man mit Bewegungsübungen, etwa mit Strecken der Finger, beginnen. Sechs Wochen lang sollte man von schweren manuellen Tätigkeiten absehen.
In fast allen Fällen sind die Schmerzen unmittelbar nach der Operation verschwunden oder zumindest stark gemildert. Die motorischen Fähigkeiten können meist wieder voll – in Abhängigkeit von ihrer Schwere und der Dauer der Erkrankung – hergestellt werden. So wie bei Ilona, die vier Wochen nach der Operation für ihre Freundinnen einen Kuchen backte und zum Kaffeeklatsch einlud, bei dem sie nach überstandener Therapie wieder ganz locker in ihrer Kaffeetasse rühren konnte.