Die rheumatische Hand
Als unsere Vorfahren sich vor vier bis zwei Millionen Jahren auf ihre Füße stellten und fürderhin aufrechten Ganges durch die Savanne streiften, blieb das nicht ohne Auswirkungen auf die Anatomie der Hand. Nicht länger benötigt für die Fortbewegung auf allen Vieren, konnte sich die Hand komplizierte Greif- und andere Bewegungen zu eigen machen, um Werkzeuge zu halten und manuelle Arbeiten zu verrichten.
Dadurch beeinflusste die Hand ganz entscheidend die Ausformung des menschlichen Gehirns und die Grundzüge unserer Intelligenz. Und der Mensch konnte seinen Siegeszug über das Tierreich antreten.
Das vor Augen, bekommt man vielleicht einen Eindruck davon, welche gravierenden Konsequenzen mit Störungen der Funktion der Hand, insbesondere für den handwerklich tätigen Menschen, einhergehen. Eine von rheumatoider Arthritis betroffene Hand weist typische Veränderungen auf, die die moderne Rheumatologie bekämpft. Besonders gute Ergebnisse werden erreicht, wenn die Erkrankung im Frühstadium erkannt und behandelt wird.
Entzündung der Gelenkinnenhaut
Durch bis heute ungeklärte Ursachen kann es im Gelenk zu Abrieb oder enzymatischen Reaktionen, bei denen Eiweißbruchstücke freigesetzt werden, kommen. Der Körper erkennt diese ehemals körpereigenen Stoffe als fremd – so genannte Antigene – und bildet Antikörper dagegen; sprich, er versucht sie abzustoßen. Diese Überreaktion der Gelenkinnenhaut (Synovialis) ruft eine Entzündung im Gelenk hervor. Dabei kann sich die Synovialis verdicken, ein Erguss kann sich bilden. Die Synovialis wuchert in den gelenkkapselnahen Knochen hinein und bildet dort Hohlräume (Zysten). Die Wucherungen an der Knorpeloberfläche heißen Pannus. Durch dieses unkontrollierte Wachstum kommt es zu noch mehr Abrieb im Gelenk – und also zu einer weiter fortschreitenden Entzündung, zum Verlust der Gleitfähigkeit bis hin zur Gelenkzerstörung und gelegentlich zu einer Versteifung (Ankylose).
Typische Verkrümmungen der Finger
Die Sehnen, die über das Gelenk gleiten, sind von Sehnenscheiden ummantelt, deren Innenauskleidung der Gelenkinnenhaut entspricht. Auch diese kann sich zu einem Pannus verdicken und in die Sehne einwachsen. Das kann bis zum Sehnenriss führen. Dieser Prozess der Gelenk- und Sehnenfunktionsstörung kann im Bereich der rheumatischen Hand schwer deformierende Veränderungen auslösen. Die fünf häufigsten sind (siehe Abb. 1-5):
- Windmühlenartige Fehlstellung der Hand in Richtung Elle (der äußere Unterarmknochen), hervorgerufen von einer Zerstörung des Handgelenks und der Handwurzel (=karpaler Kollaps) und einer Störung des Gleichgewichts zwischen Beuge- und Strecksehnen.
- 90°/90°-Deformität (Fehlstellung) des Daumens, bei der die Streckfunktion der Daumenbeugesehne im Daumengrundgelenk aufgehoben wird. Gleichzeitig wird das Daumenendgelenk überstreckt.
- Teilluxation/Luxation (Ausrenkung) der Grundgelenke der Langfinger zur Hohlhand hin mit relativer Sehnenverlängerung und Kraftverlust beim Faustschluss.
- Schwanenhalsdeformität Dabei spalten sich die Strecksehnen des Endgelenks der Langfinger über der Rückseite des Gelenks auf, gleiten hinüber auf die Beugeseite und fungieren als Beugesehne des Endgelenks.
- Knopflochdeformität Die Streckzügel des Mittelgelenks werden aufgrund der Entzündung der Gelenkkapsel auseinander gedrängt, teilweise zerstört und wandern zur Beugeseite. Das Mittelgelenk tritt wie ein Knopf durchs Knopfloch durch diesen Sehnenspalt hindurch und wird extrem gebeugt, während das Endgelenk überstreckt wird.
Operative Therapie
Um diese Handfunktionsstörungen chirurgisch zu verbessern oder eine Verschlimmerung aufzuhalten, sind spezialisierte Rheumaorthopäden bzw. Handchirurgen gefragt. Die wuchernde Synovialis kann operativ aus dem Gelenk oder den Sehnenscheiden entfernt werden, damit sie nicht weiter Knorpel, Knochen und Sehnen zerfrisst. Diese Operation wird als Synovektomie oder Synovialektomie bezeichnet und muss minutiös durchgeführt werden, um nicht die noch erhaltenen Strukturen an der Hand bei der Operation zu verletzen.
Der Zeitpunkt dieses Eingriffs ist schwierig festzulegen. Ideal ist eine Frühsynovektomie, die dann erfolgen sollte, wenn eine Verschlechterung durch Medikamente, Kortisoninjektionen oder Radiosynoviorthese nicht mehr aufzuhalten ist.
Im Frühstadium kann beim so genannten schnellenden oder schnappenden Finger das Sehnenscheidenfach gespalten werden (Ringbandspaltung). Um Patienten, die an einem Karpaltunnelsyndrom leiden, Erleichterung zu verschaffen, kann eine Entlastungsoperation am Handgelenk durchgeführt werden, bei der das Karpaltunneldach (Ligamentum carpi) durchtrennt wird. Nur noch selten werden so genannte Arthroplastiken ausgeführt, bei denen die zerstörte Gelenkoberfläche mit körpereigenem Gewebe, beispielsweise mit dünner, sehnenartiger Muskelhaut, überzogen wird. Fehlstellungen wie Schwanenhals- und Knopflochdeformität werden durch Sehnenumlagerungen sowie Sehnen- und Bandnähte korrigiert.
Zerstörte Gelenke an der rheumatischen Hand können teilweise durch Silikonplatzhalter oder technisch aufwendige Handgelenks- oder Fingergelenksprothesen ersetzt werden. Kunstgelenke im Bereich der Hand bekommen aufgrund ihrer Beweglichkeit, die sie gewährleisten müssen, nicht die Stabilität, wie sie beispielsweise für eine Hüftgelenksendoprothese gilt. Wenn das vorrangige Behandlungsziel darin besteht, die Kraft der Hand zu erhalten, ist auch heute noch die Versteifung (Arthrodese) etwa des Handgelenks von größerem Vorteil als eine Prothese. Unabhängig von der operativen Therapie muss beim entzündlich rheumatischen Befall der Hand darauf geachtet werden, dass die Beweglichkeit der Finger erhalten bleibt – Krankengymnastik oder Ergotherapie sind ein Muss! Im fortgeschrittenen Stadium wird durch aktive Fingerübungen, aber auch durch passive oder dynamische Orthesen (Finger-Handschienen) den Fehlstellungen der Hand oder Finger entgegengearbeitet, um die geschwächten Bänder und Sehnen abzustützen. (siehe Abb. 6)
Medikamentöse Therapie
Werden Veränderungen der Hand bei rheumatoider Arthritis frühzeitig erkannt, kennt der orthopädische oder internistische Rheumatologe Möglichkeiten, diese medikamentös so zu behandeln, dass die Veränderungen aufgehalten und im Idealfall sogar geheilt werden.
Anfangs können nicht-steroidale Antirheumatika (das sind Rheumamittel, die kein Kortison enthalten), Basistherapeutika (den Krankheitsverlauf positiv beeinflussende, Abwehrverhalten ändernde Medikamente) und seit neuestem so genannte Biologika vom Spezialisten verordnet werden.
Sollten die Entzündungszeichen der rheumatischen Hand – sprich die Schwellung im Handgelenk und in den Grundgelenken und Mittelgelenken der Finger – verbessert bzw. zum Abklingen gebracht werden, sind keine operativen Maßnahmen notwendig.
Als äußerst wirksame Behandlungsmethode bei der Schwellung rheumatischer Gelenke hat sich die intraartikuläre Injektion von Kortison in Kristallform erwiesen (siehe oben). Das heißt, dass das Kortison direkt ins Gelenk gespritzt wird – in Kristallform deshalb, weil das Kortison so eine längere Zeit im Gelenk verweilt. Diese Behandlung kann unter Umständen den Verzicht auf starke, in Tablettenform verabreichte Medikamente ermöglichen Eine weitere Therapieform ist die Radiosynoviorthese (RSO), die intraartikuläre Injektion radioaktiver Substanzen (Radionukleïde), die eine Verödung der entzündlichen, übermäßig Ergussproduzierenden Gelenkinnenhaut bewirken und damit die Tendenz der entzündlichen Verdickung und des Ergusses vermindern bzw. stoppen.