Was man jetzt tun kann, um seine Immunabwehr zu stärken
Die erhöhte psychische Belastung sollte aber nicht nur als Folge der pandemischen Entwicklung betrachtet werden, betont die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM). Denn ein aktuelles Review zeigt: Dauerhafter Stress kann seinerseits die Immunabwehr schwächen und so als möglicher Verstärker auf die Infektionswelle zurückwirken. Ins Positive gewendet heißt das aber auch: Wer dem Stress gezielt entgegenwirkt, kann seine Abwehrkräfte stärken – nicht nur, aber gerade auch in der freien Zeit.
Stress hat vielfältige Auswirkungen auf den ganzen Körper: Ausgehend vom Gehirn als zentraler Schaltstelle vermeldet eine Kaskade von Hormonen und anderen Botenstoffen, dass es eine besondere Herausforderung zu bewältigen gibt. „Als Auslöser kommt Ärger am Arbeitsplatz ebenso infrage wie Stress mit dem Partner, eine chronische Krankheit oder – wie jetzt gerade während der Pandemie – ein anhaltendes Gefühl von Unsicherheit und Angst“, sagt Prof. Dr. med. Eva Peters, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Fachärztin für Dermatologie am Klinikum der Justus-Liebig-Universität Gießen und an der Berliner Charité. Über Nervenverbindungen einerseits und das Blutgefäßsystem andererseits gelange der Alarmruf in jeden Winkel des Körpers und lasse auch die Funktion der Immunzellen nicht unberührt.
Stress und Immunabwehr
Eine Schlüsselrolle dabei spielt das Stresshormon Cortisol, das in der Nebennierenrinde hergestellt wird. „Man weiß bereits seit langem, dass Cortisol die Fähigkeit des Immunsystems zur Infektabwehr verändert“, sagt Peters. Mittlerweile ist ein ganzes Netzwerk von Nerven- und Immunbotenstoffen bekannt, die mehr oder weniger direkt mit Cortisol interagieren, unter Stress freigesetzt werden und die Infektanfälligkeit erhöhen. Manche dieser Stressmediatoren stören etwa die Barrierefunktion der Haut und der Schleimhäute, sodass Krankheitserreger – insbesondere Viren, die wie SARS-CoV-2 die Atemwege befallen – leichter eindringen können.
Wie groß der Einfluss psychischer Faktoren auf die Anfälligkeit gegenüber SARS-CoV-2 ist, ist noch nicht bekannt. „Erste Untersuchungen legen jedoch nahe, dass Stressoren wie ein niedriges Einkommen oder Arbeitslosigkeit, Partnerlosigkeit, mangelhafte Ernährung oder beengte Wohnverhältnisse auch hier eine negative Rolle spielen“, so Peters. Diese Belastungen sollten daher auch im Patientengespräch erfasst und bei der Abschätzung des individuellen Krankheitsrisikos stärker berücksichtigt werden.
Gesundheit fördern: Lachen, Schlafen, Spazieren gehen
Während chronischer Stress die Infektanfälligkeit erhöht, kann akuter, nur kurz anhaltender Stress genau das Gegenteil bewirken. „In den letzten Jahren konnte gezeigt werden, dass eine gezielte, kurzfristige Aktivierung der Stressantwort gesundheitsfördernd wirkt“, sagt Prof. Dr. med. Harald Gündel, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm und Mitglied im Vorstand der DGPM. Das könne man sich auf vielfältige Weise zunutze machen; als „Stress“ gelte hier nämlich auch gemäßigter Sport wie Fahrradfahren, Gymnastik oder Spazierengehen. „Einmal am Tag allein, mit dem Partner oder der Familie an die frische Luft zu gehen, kann man gerade an freien Tagen gut einplanen. Auch Lachen, beispielsweise bei einem gemeinsamen Spiel oder einem lustigen Film, aktiviert die gesundheitsfördernde Stressachse. Das gleiche gilt für Singen. In unserem digitalen Zeitalter ist dies gemeinsam auch bei räumlicher Isolation möglich.“ Dabei würden Herzschlag und Atmung beschleunigt, der Sauerstoffverbrauch erhöht und die Immunaktivität gesteigert.
Schnell wirksame und alltagstaugliche Maßnahmen gibt es auch, wenn es darum geht, chronische Stressfaktoren wie Schlafmangel oder Vereinsamung zu reduzieren. Hier kann es hilfreich sein, etwa regelmäßige Bettzeiten einzuhalten, die abendliche Bildschirmzeit zu reduzieren und bei Bedarf mit Ohrstöpseln für einen ungestörten Schlaf zu sorgen. Und das gerade in Coronazeiten ausgeprägte Gefühl der Isolation kann manchmal bereits durch kurzfristige Kontakte auf Spaziergängen, beim Einkaufen oder am Telefon gelindert werden. „Für viele ist es hilfreich, sich für ein Telefonat oder ein digitales Treffen zu verabreden – auch das kann ein Gefühl von Einsamkeit bereits lindern“, sagt DGPM-Expertin Peters. „Gute soziale Bindungen können, auch wenn sie nur digital stattfinden, ein wirksames Moment der Immunabwehr sein, denn sie puffern negative langfristige Stresseffekte.“ Auch immer mehr Selbsthilfegruppen, Institutionen des Kulturbetriebes und der Kirchen sowie andere Institutionen bieten Onlineangebote an. Es lohnt sich dies zu prüfen. Nicht zuletzt können auch psychotherapeutische Verfahren dazu beitragen, einen guten Umgang mit Belastungen zu erlernen. Man sei seinem Stress also nicht hilflos ausgeliefert.
Quelle: Eva Milena Johanne Peter, Manfred Schedlowski, Carsten Watzl, Ulrike Gimsa, Stress und Covid-19: Ein Narrativer Review über neuroendokrinimmune Mechanismen, die eine Abwehr von SARS-CoV-2 verbessern könnten. Psychother Psych Med 2020; 30: 1–11, DOI 10.1055/a-1322-3205