Lieber mit angezogener Handbremse trainieren!

Aufatmen bei den Sportvereinen: Ab sofort dürfen Mannschaftssportler in den meisten Bundesländern wieder ohne Testpflicht und ohne Personenbegrenzung trainieren. Welche Beobachtungen man bei der Fitness der Spieler machen kann und was Trainer und Sportler nach der langen Trainingspause zu beachten haben, erklärt der Gelsenkirchener Orthopäde Mirko Kuhn.
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Die Sonne scheint, die Corona-Einschränkungen werden gelockert: Nun füllen sich auch wieder die Sportplätze und Mannschaftssport ist erlaubt. Welche Beobachtungen kann man zur körperlichen Fitness der Spieler auf dem Platz machen?

Mirko Kuhn: Oft schon mit einem Blick, aber spätestens nach wenigen Minuten ist zu erkennen: Der Zustand der Sportler nach der monatelangen Pause ist höchst unterschiedlich. Während so manch einer die spiel- und trainingsfreie Zeit genutzt hat, um sich individuell fit zu halten, schwingen bei vielen anderen die zusätzlichen Pfunde bei jeder Bewegung mit. Nach so vielen Monaten ist der Körper noch nicht allen Belastungen aufgeschlossen und wird sicher auch noch vorübergehend protestieren. Vereinzelt haben wir diese Fälle in der letzten Zeit schon wieder in der Praxis behandelt. Insgesamt warten spannende Wochen auf uns: Weder die Sportler noch die Trainer oder Mediziner haben eine derartige Situation bislang erlebt. Zu lange haben die Sportler auf Sparflamme gelebt.

Worauf sollten Spieler denn jetzt besonders achten?

Kuhn: Die letzten Monate haben gezeigt: Keine Zoom-Einheit, Online-Session, kein individuelles Training ersetzt das Mannschafts-Training. Man muss sich daher erst wieder an komplexe Bewegungsabläufe herantasten und auf diese Weise Rückschläge durch Überbelastung verhindern. Eine große Herausforderung für jeden Sportler ist dabei die realistische Selbsteinschätzung. Das gilt auch für die Bewertung der Schützlinge durch den Trainer. Wer selbst oder als Trainer seine Gruppe jetzt zu wenig individuell in die Belastung einsteigen lässt, der riskiert große Rückschläge.

Was können Trainer gegen diese Rückschläge tun?

Kuhn: Die Situation aktuell ist einmalig und nie da gewesen, das ist klar. Entsprechend ausgeklügelt müssen jetzt auch die Trainingskonzepte sein. Der Trainingszustand im Team kann sehr stark variieren. Das ist oftmals ein schwieriger Spagat für die Trainer. Dennoch führt an einer individuellen Anpassung der Trainingsinhalte und -intensität kein Weg vorbei. So unterschiedlich wie der Fitnesszustand ist, sollte auch der Trainingsplan aussehen. Niemand hat etwas davon, wenn sich übermotivierte Athleten schon ganz früh nach Ende des Lockdowns mit einer Verletzung in die nächste Zwangspause verabschieden.

Welche Risiken drohen, wenn Fitness und Ausdauer nach so einer langen Trainingspause falsch eingeschätzt werden?

Kuhn: Die Gefahr von Rückschlägen zum Beispiel in Form von Verletzungen ist besonders groß: Die Überbelastung eines seit Monaten auf Sparflamme laufenden Organismus erfolgt schnell und ist hinderlich für einen bestmöglichen Trainingseffekt. Fast jeder weiß, dass das Motto „von Null auf 100“ auf allen Ebenen des Freizeit-, Breiten- und Leistungssports nach längeren Pausen vermieden werden sollte. Das gilt umso mehr nach der Corona-Zwangspause.

Sehen Sie einen Unterschied zwischen Freizeitsportler und Leistungssport?

Kuhn: Natürlich, denn Leistungs- oder gar Profisportler haben ja größtenteils nie richtig pausiert, Aber auch einigermaßen gut trainierte Freizeitsportler sollten, selbst wenn die Sehnsucht nach Wett- und Zweikämpfen und intensiven Trainingsphasen z.B. mit dem Ball nach so langer Pause nur allzu verständlich ist, zunächst einige Einheiten „mit angezogener Handbremse“ absolvieren. Wichtig ist jetzt: Ehrlich zu sich selbst sein, einen behutsamen Start absolvieren und besonders: Auf die Euphoriebremse treten.

Welche konkreten Verletzungen oder Beschwerden drohen und was lässt sich präventiv dagegen tun?

Kuhn: Elemente wie Koordination, Gymnastik und Stretching sollten bei der Trainingsvorbereitung einen höheren Stellenwert haben als ohnehin schon. Neben den muskulären Strukturen sehe ich je nach Sportart die Sehnen an der Achillessehne, der Ferse oder der Schulter als besonders gefährdet an. Die Clubs und Vereine sollten die derzeitige Lage am besten zu einer "verlängerten Saison-Vorbereitung" nutzen.

Lassen sich die Hinweise auch beim Individual- bzw. Kraftsport anwenden?

Kuhn: Die Tipps orientieren sich eher an die Aufnahme von Mannschaftssport - beim Einstieg ins Krafttraining im Fitness-Studio sind wieder einige andere Aspekte zu beachten. Aber auch hier gilt: Probleme an Sehnen und Muskeln werden mitunter nicht schon beim Training bemerkt, sondern oft erst danach. Die größte Kunst besteht jetzt darin, in den Körper hineinzuhören und nach dem Motto: "langsam aber sicher" wieder loszulegen.

Herr Kuhn, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Janosch Kuno, BVOU Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

Ärzte mit der Spezialisierung Sportmedizin in der Umgebung von Ashburn

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