Patellaluxation/Patellofemorale Instabilität

Eine Patellaluxation bezeichnet das Herausspringen der Kniescheibe aus ihrem knöchernen Gleitlager (patello-femorales Gleitlager) wobei in den meisten Fällen eine strukturelle Fehlbildung in Verbindung mit einem inadäquaten Trauma hierfür ursächlich ist.

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Einmalige Luxationen können oftmals gut konservativ behandelt werden, wohingegen bei wiederholtem Herausgleiten der Kniescheibe (patello-femorale Instabilitäten) eine operative Maßnahme zur Stabilisierung des Gleitlagers und gegebenenfalls Korrektur prädisponierender Faktoren notwendig ist, um die Beschwerden zu lindern und eine frühzeitige Arthrose vorzubeugen. Ist der Gelenkknorpel durch die Luxation verletzt, bedarf es auch bei erstmaligen Ereignissen zügig einer differenzierten Knorpeltherapie.

Epidemiologie und Ätiologie

Die Kniescheibe (Patella) ist das größte Sesambein des Menschen und ist für die Kraftübertragung am Kniegelenk von elementarer Bedeutung. Die Kniescheibe wird knöchern, durch eine Mulde im Oberschenkelknochen (Trochlea femoris) und weichteilig, durch den mittleren Kapsel-Band-Apparat (insbesondere MPFL – Mediales patellofemorales Ligament und mediales Retinaculum) und die Oberschenkelmuskulatur (v.a. VMO – Musculus vastus medialis obliquus) stabilisiert. Eine Patellaluxation beschreibt das Herausgleiten der Kniescheibe aus ihrer knöchern-weichteiligen Führung.

Eine Patellaluxation ist eine häufige Knieverletzung des jungen, sportlich aktiven Patienten (2-3% aller Knieverletzungen) und tritt meist zwischen dem 10. und 30. Lebensjahr (Altersdurchschnitt 19-26 Jahre) auf. Das Herausspringen der Kniescheibe verursacht nicht selten Begleitverletzungen des Knorpels, des Knochens und des Weichgewebes.

Ursachen

Die primären Ursachen einer Kniescheibenluxation sind vielfältig. Oftmals ist ein Sturz auf das Knie (Sportunfall) bzw. ein akutes Anpralltrauma der Auslöser. Eine Patellaluxation kann jedoch auch bei alltäglichen Tätigkeiten entstehen. Gerade dann sind häufig anlagebedingte Fehlbildungen der Kniegelenksstabilisatoren die Ursache. Klassische Beispiele hierfür sind Beinachsenfehlstellungen (X-Bein), vermehrte femorale Antetorsion (resultiert in einer vermehrten Einwärtsdrehung des Kniegelenks), ein zu flaches Gleitlager (Trochleadysplasie), eine veränderte Form der Kniescheibe (Patelladysplasie), ein Patellahochstand (Patella alta) oder schwache weichteilige Strukturen (VMO, MPFL, mediales Retinaculum).

Insbesondere bei wiederholter Luxation bedarf es einer umfassenden Diagnostik und Deformitätenanalyse um die zugrundeliegende, oftmals multifaktorielle Ursache zu erfassen und ein individualisiertes Therapiekonzept zu erarbeiten.

Symptome und Verlauf

Die erstmalige Luxation der Kniescheibe ist primär sehr schmerzhaft und löst beim Betroffenen nicht zuletzt aufgrund der offensichtlichen Fehlstellung große Ängste aus. Die Luxationsrichtung der Kniescheibe ist nahezu ausschließlich nach außen, wobei sie gut tastbar dem seitlichen Oberschenkelknochen anliegt und das Knie in einer Schonhaltung (Beugestellung) gehalten wird. Die Stellung außerhalb des Gleitlagers ist für den Gelenkknorpel mit einer enormen Belastung verbunden und bedarf einer möglichst schnellen Reposition durch ärztliches oder speziell geschultes Personal (Rettungsdienst) unter adäquater Analgesie. Bereits kurze Zeit nach dem Trauma kommt es meist zu einem starken Kniegelenkserguss, der zu einer eingeschränkten Beweglichkeit und einem Instabilitätsgefühl (giving-way-Phänomen) führt. Im mittel- bis langfristigen Verlauf kommt es bei 30-60% zu einem persistierenden Instabilitätsgefühl und einem anterioren Knieschmerz bei Belastung.

Aufgrund der häufigen Begleitverletzung weichteiliger Stabilisatoren des patello-femoralen Gleitlagers kommt es trotz intensivierter Physiotherapie und externer Gelenkstabilisierung oftmals zu einer persistierenden Instabilität (20 bis 50% Re-Luxationsrate nach 2 Jahren).

Begleitverletzungen

Schon bei der ersten Luxation sind Begleitverletzungen häufig. Klassisch sind Rupturen (Risse) weichteiliger Stabilisatoren der Kniescheibe wie das MPFL. Zudem kommt es beim Herausgleiten der Kniescheibe aus ihrer Gleitmulde zu einer Knochenkontusion (Prellung) die oftmals mit einem Knochenödem („bone bruise“) - im Bereich des lateralen Femurs (seitlicher Oberschenkelknochen) sowie der medialen Patellafacette (mittiger Kniescheibenanteil) – einhergeht oder eine Schädigung des Gelenkknorpels (chondrale Läsion) zur Folge hat.

In einem Viertel der Patellaerstluxationen kommt es hierbei, vor allem bei Jugendlichen, zu einer Kombinationsverletzung des Knorpel-Knochen-Übergangs mit einer Abscherverletzung („flake fracture“). Liegt eine solche Abscherverletzung vor, sollte das Bruchstück zeitnah operativ refixiert werden, um die Zellvitalität zu erhalten und die gute Prognose des Knorpelschadens nicht zu gefährden.

Oft fallen solche osteochondralen Flakes bereits in der Röntgenuntersuchung auf, jedoch ist zum Ausschluss einer solchen und auch weiterer Begleitverletzung die zeitnahe Durchführung (innerhalb einiger Tage) einer Kernspinuntersuchung (MRT) nach Patellaluxation obligat.

Diagnostik

Eine stadiengerechte Diagnostik ist bereits bei Patellaerstluxation angezeigt und sollte unmittelbar im Anschluss an die Reposition durchgeführt werden. Neben einer ausführlichen klinischen Untersuchung des Kniegelenks ist hierbei die Röntgenuntersuchung ein wichtiger Bestandteil. Sollte sich hieraus kein unmittelbarer Interventionsbedarf ableiten ist die zeitnahe Durchführung einer MRT Untersuchung indiziert. Je nach Befund bedarf es insbesondere bei wiederkehrenden Luxationen oder Erstluxationen ohne adäquates Trauma einer Deformitätenanalyse.

Therapie

Nach Zusammenschau der klinischen und radiologischen Befunde erfolgt die individuelle Therapieempfehlung. Während eine erstmalige Patellaluxation häufig konservativ therapiert werden kann, bedarf es bei wiederholten Luxationen, sowie bei Begleitverletzungen (z.B. Knorpel-Knochen-Absplitterungen) oder zunehmenden Knorpelschäden einer operativen Therapie.

Die primären Ursachen einer Kniescheibenluxation sind vielfältig. Daher braucht es differenzierte Therapiekonzepte, um der zugrundeliegenden Problematik des individuellen Kniegelenks gerecht zu werden.

Im Falle einer Erstluxation mit adäquatem Trauma ohne osteochondrale Fraktur erfolgt nach erfolgreicher Reposition eine temporäre Ruhigstellung durch eine Hartrahmenorthese mit Bewegungslimitierung. Hierdurch wird die Belastung auf die Kniescheibe reduziert und den weichteiligen Strukturen Zeit gegeben sich zu regenerieren.

Schmerzmittel, Kühlung und Hochlagerung des Beines können in der Akutphase zu einer raschen Beschwerdelinderung beitragen. Sollte dies aufgrund einer massiven Gelenkschwellung nicht zu einer adäquaten Schmerzlinderung führen, kann eine Punktion des Gelenkergusses erwogen werden. Eine Gelenkspunktion birgt jedoch stets die Gefahr einer Verschleppung von Hautkeimen in das Gelenk und sollt daher nicht routinemäßig erfolgen.

Als weitere Säule der konservativen Therapie ist der Muskelaufbau der Oberschenkelmuskulatur (M. quadriceps femoris) Rahmen einer intensivierten Physiotherapie. Dadurch kann insbesondere durch den in die Mitte ziehenden Teil des Quadrizeps (M. vastus medialis) die Kniescheibe in ihrer Gleitmulde stabilisiert werden.

Die zur Verfügung stehenden Verfahren sind technisch herausfordernd und sollten daher an einem Zentrum mit hoher Expertise durchgeführt werden. Je nach zugrundeliegendem Problem kann die Instabilität der Patella durch unterschiedliche Verfahren adressiert werden:

A) MPFL-Plastik (Mediales patello-femorales Ligament):

Die Rekonstruktion des MPFL ist ein rein weichteiliger Korrektureingriff zur Stabilisierung der Kniescheibe bei chronischer Instabilität mit allenfalls milder knöcherner Deformität. Bei höhergradigen knöchernen Deformitäten wird das Verfahren in Kombination mit knöchernen Korrektureingriffen angewandt.Bei der MPFL-Plastik erfolgt die minimalinvasive Rekonstruktion des Halteapparates mittels autologem (körpereigenem) Sehnenmaterial.

B) Z-Plastik des lateralen Retinaculums:

Die laterale (seitliche) Verlängerung des Retinaculums (Teil des Halteapparats der Kniescheibe) ist primär bei Hyperpressionen und Retropatellararthrose des lateralen Gelenkkompartiments indiziert. Im Rahmen komplexer weichteiliger und knöcherner Rekonstruktionen bei rezidivierenden Patellaluxationen kann dieses Verfahren jedoch additiv angewendet werden. Im Rahmen dieser minimalinvasiven Operation wird die obere und untere Schicht des Retinaculums versetzt durchtrennt und anschließend Z-förmig vernäht. So wird die Sehnenplatte verlängert und der Druck/Zug nach außen nimmt ab.

C) Osteotomie der Tuberositas tibiae (z.B. OP nach Elmslie-Trillat):

Die Tuberositas-tibiae Osteotomie ist ein knöcherner Korrektureingriff. Bei dieser offen chirurgischen Operation wird der Ansatz der Patellarsehne am Schienbeinkopf versetzt. Der Eingriff kann alleine oder aber in Kombination mit weichteiligen Korrekturen vorgenommen werden. Hierbei wird der Knochenfortsatz des Schienbeins, an dem die Patellarsehne ansetzt, abgelöst und verschoben. Anschließend wird die abgelöste Knochenschuppe wieder fest mit dem Schienbein verschraubt.

D) Trochlea-Plastik:

Die Trochlea-Plastik ist ebenfalls ein knöcherner Korrektureingriff. Die Rekonstruktion des Gleitlagers der Kniescheibe kann bei hochgradigen Fehlbildungen des Gleitlagers und daraus resultierender chronischer Instabilität notwendig sein. Bei dieser offen chirurgischen Operation wird der Knorpelüberzug der Gleitmulde mitsamt einer darunterliegenden Knochenschicht vorsichtig abgelöst und anschließend in den darunterliegenden Knochen eine Vertiefung gefräst. Nachfolgendwird wird der abgelöste Knorpel wieder fixiert.

E) Umstellungsosteotomie:

Die Umstellungsoperation am körperfernen Oberschenkelknochen kann bei höhergradigen Beinachsendeformitäten und daraus resultierender chronischer Instabilität die Therapie der Wahl sein. Hierbei wird z.B. eine X-Beinstellung oder ein Drehfehler korrigiert.

Nachbehandlung

Die Nachbehandlung erfolgt individuell und je nach Art des jeweiligen Eingriffes. Meist ist eine Teilbelastung an Unterarmgehstützen für mindestens 2 Wochen, häufig bis zu 6 Wochen notwendig. Additiv ist eine individuell festgelegte, ambulante Physiotherapie und eine temporäre Orthesenbehandlung notwendig und hilft dabei, den langfristigen Therapieerfolg zu sichern.

Literatur und weiterführende Links

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https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/erkrankungen/patellaluxation-210913

Hinweise für Patienten

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