Schwerverletztenversorgung
Die Schwerverletztenversorgung beginnt schon am Unfallort und stellt auch im Verlauf eine zeitkritische Behandlung dar. Die Diagnostik oder Therapie lebensbedrohlicher Verletzungen erfolgt prioritätenbasiert nach bestimmten standardisierten Handlungsabläufen. Ziel ist die vollständige Wiederherstellung des Patienten, um eine Rückkehr in den privaten und beruflichen Alltag zu ermöglichen.
Ein schwerverletzter Patient ist im medizinischen Sprachgebrauch ein Patient mit mindestens einer lebensbedrohlichen Verletzung. Häufig kommt es bei Unfällen mit hoher Geschwindigkeit, einem Sturz aus großer Höhe, in der Freizeit (Extremsportarten) oder bei Explosionen zu Knochenbrüchen (Frakturen), Verletzungen innerer Organe und/oder einer Verletzung des Schädels oder des Gehirns. In Deutschland verunfallen etwa 35.000 Personen pro Jahr schwer. Von einem Polytrauma spricht man, wenn ein Patient eine Kombination von verschiedenen Verletzungen hat, von denen mindestens eine oder die Kombination lebensbedrohlich ist. Bis zu 20 Prozent aller Polytraumata enden tödlich.
In Deutschland existieren zur Versorgung schwerverletzter Patienten verschiedene Versorgungsstufen. Je nachdem, wie eine unfallchirurgische Klinik für die Erstbehandlung von Schwerverletzten mit entsprechendem Personal und Geräten etc. ausgestattet ist, unterscheidet man lokale, regionale und überregionale Traumazentren In Deutschland nehmen etwa 600 Kliniken am sogenannten TraumaNetzwerk DGU teil. Diese Kliniken haben sich wiederum zu 52 Traumanetzwerken zusammengeschlossen und unterliegen einer wiederkehrenden Zertifizierung und damit Qualitätsprüfung im Hinblick auf die Versorgung schwerverletzter Patienten.
Hierbei haben Unfallchirurgen strukturierte Versorgungskonzepte wie zum Beispiel den sogenannten Advanced Trauma Life Support (ATLS) entwickelt, die eine Fokussierung auf vital bedrohliche Verletzungen in den Bereichen Atmung, Kreislauf und Neurologie ermöglichen.
Jegliche Behandlung, Forschung und Lehre in der Schwerverletztenversorgung hat zum Ziel, den Patienten letztlich umfassend wiederherzustellen und zu rehabilitieren, sodass die erneute Integration in das Privat- und Berufsleben möglich ist.
Versorgung am Unfallort
Die Versorgung von schwerverletzten Patienten beginnt bereits an der Unfallstelle durch den Rettungsdienst. Zeit ist ein wesentliches Kriterium der initialen Diagnostik und Therapie. Insbesondere bei größeren Blutungen, Bauchverletzungen (abdominellen Verletzungen) oder Frakturen langer Röhrenknochen wie beispielsweise dem Oberschenkel sollte der Transport in ein Traumazentrum möglichst frühzeitig erfolgen.
Lebensrettende Sofortmaßnahmen werden teilweise bereits durch Laien durchgeführt und dann durch das Rettungsfachpersonal nach Eintreffen übernommen. Schon hier werden die Weichen für den weiteren Verlauf gestellt.
Durch klar strukturierte Handlungsabläufe (Behandlungsalgorithmen) können die am Unfallort getroffenen, sogenannten präklinischen Maßnahmen lebensrettend sein. Hierzu zählt insbesondere die Entlastung eines Spannungspneumothorax (lebensbedrohliche Überdrucksituation in einer Brustkorbhälfte), das Stillen starker äußerer Blutungen oder die Sicherung des Atemwegs.
Die Vitalfunktionen des Patienten (Atmung und Kreislauf) können am Unfallort durch die Sicherung des Atemweges und kreislaufunterstützende Maßnahmen zumindest vorübergehend stabilisiert werden. Anschließend erfolgt dann der Transport in ein geeignetes Traumazentrum. Ziel ist es, den Zeitraum vor Einlieferung in das Krankenhaus so lang wie nötig und so kurz wie möglich zu gestalten.
Schockraum
Bei Ankunft im Traumazentrum ist seit dem Unfall durchschnittlich bereits über eine Stunde vergangen. Im Schockraum sind bei Eintreffen des Rettungsdienstes verschiedene Fachabteilungen wie Anästhesie, Unfallchirurgie, Viszeralchirurgie, etc. anwesend und beginnen nach Übergabe unmittelbar mit der Diagnostik und Behandlung. Erneut besteht der erste Fokus auf der Vermeidung oder Therapie der lebensbedrohlichen Verletzungen. Der Unfallmechanismus und eine körperliche Untersuchung zusammen mit einer Ultraschalluntersuchung des Bauches geben schon wichtige Hinweise auf das Verletzungsmuster. Die Sicherung der Atemwege, Intubation oder die Fortsetzung der Beatmung erfolgen zeitgleich zur weiteren Behandlung. Im Rahmen der sogenannten Volumentherapie, bei der es um den Ausgleich verlorengegangener Körperflüssigkeiten geht, ist unter Umständen eine Fremdblut-Gabe notwendig (Therapie mittels Erythrozyten-Konzentraten), um Teile des verlorengegangenen Blutes auszugleichen. Es folgt eine Computertomographie (CT) von Kopf, Brustkorb, Bauch und Becken um weitere relevante Verletzungen zu detektieren. Je nach Notwendigkeit und Zustand des Patienten können anschließend weitere Röntgenaufnahmen angefertigt werden.
Bei dieser Sendung erklärt uns Prof. Steffen Ruchholtz, Leiter der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Universitätsklinikums Gießen und Marburg, was hinter den Kulissen einer Notfallabteilung mit Schockraum-Management passiert.
Erste OP-Phase
Lebensbedrohliche Verletzungen (verletzte größere Gefäße oder Hohlorganverletzungen, schwere Hirnverletzungen, Frakturen langer Röhrenknochen) müssen sofort chirurgisch versorgt werden. In dieser Phase werden Frakturen häufig mit einem äußeren Festhalter (Fixateur externe) versorgt, um die OP-Zeit und den weiteren Schaden für den Patienten gering zu halten. Gegebenenfalls muss der Schädel oder Bauch eröffnet werden, um die vorliegende Verletzung ausreichend therapieren zu können.
Weiterbehandlung
Es folgt die intensivmedizinische Behandlung, weitere Stabilisierung und wenn notwendig im Verlauf die weiteren und definitiven operativen Behandlungen, um ein möglichst gutes Ergebnis für den Patienten zu erreichen.
Im Anschluss an den normalstationären Aufenthalt beginnt dann die Phase der Rehabilitation. Hierzu zählen Maßnahmen, wie eine intensive Physio- und Ergotherapie, unter Umständen eine psychosoziale Betreuung, die schon während des stationären Aufenthaltes begonnen wurde, und letztlich die soziale und berufliche Wiedereingliederung.
Mögliche Komplikationen
Hat ein Patient eine oder sogar mehrere lebensbedrohliche Verletzungen erlitten, so können trotz einer bestmöglichen Behandlung immer auch Komplikationen auftreten oder Funktionseinschränkungen zurückbleiben. Dazu zählen:
- Bleibende Schmerzen und Funktionsstörungen
- Einschränkungen in Lebensqualität und im Sozialleben
- Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten nach Schädel-Hirn-TraumaInfektionen, Sepsis und Organversagen
- Thrombose und Lungenembolie (Verschluss einer oder mehrerer Lungenarterien)
- Angst- und Stressreaktionen, posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
Prognose
Die Prognose kann nicht allgemein vorhergesagt werden und ist stark abhängig vom jeweiligen Verletzungsmuster, dem Alter und möglichen Vorerkrankungen des Patienten, etc. Häufig bleiben nach schweren Verletzungen jedoch Funktionsbeeinträchtigungen in irgendeiner Form zurück.
Literatur und weiterführende Links
Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie: Patienteninformation zu Polytrauma
Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU): S3-Leitlinie Polytrauma / Schwerverletzten-Behandlung. AWMF Leitlinien-Register-Nr. 012/019. Berlin: DGU, 2016.