Klein- und Großwüchsigkeit

Menschen, die eine Körpergröße von 1,50 Meter nicht erreichen, gelten im Allgemeinen als kleinwüchsig. Vom Groß- oder Hochwuchs spricht man in der Regel ab einer Größe von etwa 2,00 Metern. Für eine genaue Einordung spielt allerdings immer auch das Geschlecht eine Rolle.

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Was ist Wachstum und wie wird es beeinflusst?

Das menschliche Wachstum ist ein dynamischer und komplexer Prozess. Es beginnt mit der Befruchtung der Eizelle und endet mit dem Schluss der Epiphysenfugen. Es steht unter Einflüssen von unter anderem genetischen, umwelt- und ernährungsbedingten sowie hormonellen Faktoren [1].

Wann spricht man von Klein-bzw. Großwüchsigkeit?

Die Diagnose einer Klein- (Mikrosomie) bzw. Großwüchsigkeit (Hypersomie, Gigantismus) kann man anhand der in der Praxis standardmäßig eingesetzten Perzentilenkurven stellen, welche auf den Werten großer Vergleichskollektive beruhen.

Als kleinwüchsig gilt, wer mit seiner Körpergröße unter der 3. Perzentile bleibt. Das bedeutet, dass 97% der Altersgenossen größer sind. Meist tritt Kleinwuchs in Folge einer verminderten Wachstumsgeschwindigkeit oder einer verkürzten Wachstumsdauer auf. Insbesondere im Kleinkindalter und in der Pubertät wird der Kleinwuchs auffällig, da hier normalerweise größere Wachstumsschübe ablaufen.

In Deutschland sind ca. 100.000 Menschen von Kleinwuchs betroffen. Die Körperlänge bei kleinwüchsigen Menschen beginnt bei ca. 80 cm und endet laut Schwerbehindertenrecht in Deutschland bei 140 cm [2].

Im Gegenzug gilt als großwüchsig, wer mit seiner Körpergröße jenseits der 97. Perzentile liegt. In einer Umfrage in Deutschland zur Körpergröße im Jahr 2014, veröffentlicht von Statista Research Department, 21.04.2015, gaben 3,8% der Befragten an, größer als 1,90m zu sein. Befragt wurden insgesamt 3471 Personen, die älter als 18 Jahre waren [3].

Möglichkeiten der Vorhersage der erwarteten Körpergröße

Es gibt verschiedene Prognosemodelle, die erlauben, die spätere Erwachsenengröße eines Kindes abzuschätzen Wachstumsprognose.

Ursachen von Kleinwüchsigkeit

Ranke beispielsweise teilt die Kleinwuchsformen in 2 Gruppen ein [4].

A) Den primären Kleinwuchs mit:

  • Familiärer (genetisch bedingter) Kleinwuchs
  • Skelettdysplasien (Achondroplasie, Osteogenesis imperfecta)
  • Knochenstoffwechselstörungen (Mukopolysacharidosen, Mukolipidosen)
  • Chromosomenanomalien (UllrichTurner-Syndrom, Down-Syndrom, Noonan-Syndrom)
  • Intrauterin erworbener Kleinwuchs (IUGR, fetale Infektionen, Alkoholembryopathie, Nikotin)
  • SGA (Small for Gestational Age)
  • Kleinwuchssyndrome (Russel-Silver-Syndrom, Cornelia-de-Lange-Syndrom)

B) Den sekundären Kleinwuchs mit:

  • Mangel- und Fehlernährung
  • Chronische Organerkrankungen (Niereninsuffizienz, Leberzirrhose, Darmerkrankungen (M. Crohn, Zöliakie), Zyanotische Herzfehler, Krankheiten des Rheumatischen Formenkreises
  • Metabolische Störungen des Kohlenhydrat-, Eiweiß- und Fettstoffwechsels
  • Hormonelle Störungen (Wachstumshormonmangel, Hypothyreose, M. Cushing)
  • Psychosoziale Deprivation
  • Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung

Im klinischen Alltag sind die Diagnosegruppen „familiärer Kleinwuchs“ und die „konstitutionelle Verzögerung von Wachstum und Pubertät“ (KEV) die häufigsten Ursachen für eine Vorstellung in der Wachstumssprechstunde [5]. Die häufigste Ursache ist der Familiäre Kleinwuchs. Dieser gilt per se nicht als Erkrankung. Hier sind auch die Eltern des Betroffenen klein und geben diese Erbinformationen an ihre Nachkommen weiter. Die Endgröße liegt daher im familiären Zielbereich.

Die KEV betrifft meist männliche Kinder. Hierbei kommt es in der frühen Kindheit zu einem Absinken der Wachstumsrate hin zu abnormal niedrigen Werten. Die Knochenreifung bleibt hinter dem chronologischen Alter zurück. Die Patienten erreichen ihre Erwachsenengröße spät und in den meisten Fällen lässt sich eine positive Familienanamnese in Bezug auf eine konstitutionelle Entwicklungsverzögerung erheben [6]. Auch der Pubertätseintritt ist verzögert. Diese entwickelt sich aber bei den Betroffenen regelrecht, wenn auch verspätet [7][8][9].

Diagnostik

Bei der Diagnostik sind sowohl Eigenanamnese (Schwangerschaftsverlauf, Geburtstrauma, Wachstumsverlauf, statomotorische Entwicklung, Ernährung, chronische Erkrankungen, Schädel-Hirn-Trauma, …) als auch Familienanamnese (Größe der Eltern, Alter der Mutter bei Menarche, späte Wachstumsschübe) von großer Bedeutung. Ebenso Auxiologie (Gewicht, Länge, Kopfumfang, Perzentilenkurve, Bestimmung der Wachstumsgeschwindigkeit) sowie die körperliche Untersuchung hinsichtlich dysproportionierter/proportionierter Minderwuchs, Dysmorphiezeichen, begleitende Organanomalien, die Bestimmung des Knochenalters sowie laborchemische Untersuchungen (Blutbild, Leberwerte Harnstoff, Kreatinin, Kalzium, Phosphat, alkalische Phosphatase, Gliadin-Antikörper, TSH und T4, IGF1, IGF-BP3, ggf. Chromosomenanalyse) [10].

Therapiemöglichkeiten bei Kleinwüchsigkeit

Hormontherapie

Einerseits gibt es die Möglichkeit der hormonellen Therapie mit anabolen Steroiden, Sexualsteroiden oder Wachstumshormonen.

Verlängerungsoperationen Beinverlängerung/Distraktionsverfahren

Ursachen von Großwüchsigkeit

Folgende Auflistung gibt einen Überblick über mögliche Ursachen [11].

A) Normvarianten:

  • Familiärer Großwuchs
  • Konstitutionelle Entwicklungsbeschleunigung

B) Endokrine Störungen:

  • Pubertas praecox
  • Andrenogenitales Syndrom
  • Hyperthyreose
  • Hypophysärer Hochwuchs

C) Chromosomale Aberrationen:

  • Klinefelter Syndrom (XXY)
  • XYY-Karyotyp

D) Alimentärer Hochwuchs:

  • Adipositas und Hochwuchs (Adiposogigantismus)

E) Genetische Störungen:

  • Marfan-Syndrom
  • Homozystinurie
  • Beckwith-Wiedemann-Syndrom

F) Neurologische Störung:

  • Zerebraler Gigangtismus

Diagnostik bei Großwuchs

Die Diagnostik unterscheidet sich nicht wesentlich von der des Kleinwuchses. Auch hier zählen Anamnese, Auxiologie, körperliche Untersuchung sowie laborchemische und apparative Untersuchungen inklusive Bestimmung von IGF-I und IGFBP-3 zur Basisdiagnostik. Diese wird ergänzt durch einen WH-Suppressionstest und ein zerebrales MRT bei Verdacht auf ein Wachstumshormon produzierendes Adenom der Hypophyse. Bei klinischen Hinweisen auf eine numerische Chromosomenanomalie sollte eine Karyotypisierung durchgeführt werden [12].

Therapiemöglichkeiten bei Großwüchsigkeit

Sexualsteroide

Eine medikamentöse Behandlung kann bei einer errechneten Endlänge von 185cm bei Mädchen bzw. 205cm bei Jungen erwogen werden. Die Indikation sollte aber stets streng gestellt werden aufgrund potenzieller Nebenwirkungen. Die Vorverlegung des Epiphysenschlusses durch Beschleunigung der Knochenreifung, getriggert durch die Gabe von Sexualhormonen, stellt hier einen wesentlichen Pfeiler dar. Jungen bekommen hochdosiert Testosteron als Depotpräparat i.m. ab einem Knochenalter von 12 bis 13 Jahren. Mädchen erhalten hoch dosiert Östrogene p.o. und zusätzlich alle 4 Wochen Gestagen zur Erzielung einer Abbruchblutung. Begonnen wird bei einem Knochenalter von 11 Jahren, bei Eintritt der Menarche ist eine Therapie nicht mehr zielführend. Die mögliche Längeneinsparung beträgt 6-8cm. Allerdings gibt es Hinweise, dass eine wachstumsbeeinflussende Therapie zu einer reduzierten Fertilität behandelter Mädchen führen könnte [13].

Temporäre Epiphysiodese

Die temporäre Epiphysiodese durch Eight Plates, Blount-Klammern oder Richards-Klammern stellt eine Möglichkeit dar, das Knochenwachstum gezielt zu unterbrechen. Es erfolgt eine „Stilllegung der Epiphysenfugen der langen Röhrenknochen, in welchen das Längenwachstum abläuft.“ Ein solcher Eingriff sollte allerdings nicht vor dem 10. Lebensjahr bei Mädchen bzw. 12. Lebensjahr bei Jungen erfolgen, um eine Schädigung der Wachstumsfuge mit möglicher Entwicklung anderer Deformitäten zu vermeiden [14].

Segmentresektion/Verkürzungsoperation

Am Oberschenkel sind hier etwa 4cm (maximal 10% der Femurlänge) möglich im Sinne einer z-förmigen intertrochantären Umstellungsosteotomie und Winkelplattenosteosynthese. Am Unterschenkel können etwa 3cm reseziert werden. Bei Verkürzung des Oberschenkels ist zumeist eine reversible Quadrizepsschwäche zu verzeichnen [15].

Literatur:

[1] Rosenbloom, A.L., Physiology of Growth. Annales Nestlé, 2008. 65: p. 97-108.

[2] Homepage BKMF e.V., https://www.bkmf.de

[3] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/278035/umfrage/koerpergroesse-in-deutschland

[4] Ranke, M.B., Wachstumsstörungen. 11 ed. von Harnack Kinderheilkunde, ed. B. Koletzko. Vol. 11. 1999: Springer Verlag. 737.

[5] Speer C.P., Gagr M., Dötsch J.; Wölfle J., Holterhus P.-M., Oppelt P. G., Wünsch L., Semler J. O., Schönau E., and Petersen C., Endokrinologie interdisziplinär. Pädiatrie. 2019: 645–701.

[6] The Diagnosis and Treatment of Endocrine Disorders in Childhood and Adolescence. 1st ed. 1950, Springfield, Ill: Charles C Thomas.

[7] Bierich, J.R., Constitutional delay of growth and adolescence. Baillieres Clin Endocrinol Metab, 1992. 6(3): p. 573-88.

[8] Prader, A., Delayed adolescence. Clin Endocrinol Metab, 1975. 4(1): p. 143-55.

[9] Rosenfield, R.L., Clinical review 6: Diagnosis and management of delayed puberty. J Clin Endocrinol Metab, 1990. 70(3): p. 559-62.

[10] Intensivkurs Pädiatrie 3. Auflage, Urban&Fischer, Ania Muntau, 2004

[11] Intensivkurs Pädiatrie 3. Auflage, Urban&Fischer, Ania Muntau, 2004

[12] Speer C.P., Gagr M., Dötsch J.; Wölfle J., Holterhus P.-M., Oppelt P. G., Wünsch L., Semler J. O., Schönau E., and Petersen C., Endokrinologie interdisziplinär. Pädiatrie. 2019: 645–701.

[13] Intensivkurs Pädiatrie 3. Auflage, Urban&Fischer, Ania Muntau, 2004

[14] Facharztkompendium 2018, Orthopädie und Unfallchirurgie, OrthoForum Verlag, F. Böttner.

[15] Facharztkompendium 2018, Orthopädie und Unfallchirurgie, OrthoForum Verlag, F. Böttner.

Hinweise für Patienten

Dieser Lexikoneintrag enthält nur allgemeine Informationen und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.

Off-Label-Use
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