Beinverlängerung / Distraktionsverfahren

Bei der operativen Beinverlängerung kommen verschiedene Ansätze zum Einsatz. Allen gemeinsam ist allerdings das grundlegende Prinzip: Zuvor durch den Operateur durchtrennte/osteotomierte Röhrenknochenhälften werden mittels konventioneller externer Fixation oder vollimplantierbarer Verlängerungsmarknägel (in der Zukunft wohl auch über verlängerbare Plattensysteme) über mehrere Wochen langsam und kontinuierlich entlang der gewünschten Wachstumsachse auseinandergezogen, wobei sich konsekutiv und somit „neuer“ Knochen als Längenzugewinn gebildet wird.

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Das älteste Verfahren, der Fixateur externe, wurde von dem sowjetischen Orthopäden Gawril Ilisarow (1921-1992) in Kurgan 1951 in Form des Ringfixateurs entwickelt, ursprünglich zur Behandlung von Knochenbrüchen [1]. Hierbei wird um das Bein eine Metallkonstruktion, der sog. Ringfixateur, montiert. Über diesen sind die einzelnen Knochenfragmente nach erfolgter Osteotomie durch Bohrdrähte und Schrauben fixiert und es erfolgt die manuelle Verlängerung/Erweiterung des Osteotomiespaltes von außen durch den Patienten selbst. Pro Tag ist ein Millimeter an Länge zu gewinnen. Es benötigt die dreifache Zeit zum „Festwerden“. Demnach werden für fünf Zentimeter Streckengewinn insgesamt etwa 150 bis 200 Tage benötigt, inklusive der Zeit, die es dauert, bis sich der Knochen verfestigt hat [2].

Da bei der Verwendung von externen Fixateuren die korrekte Führung des durchtrennten Knochens eine große Herausforderung darstellt, entwickelten sich im Verlauf Kombinationen aus externer Fixation und einem internen Kraftträger. Bertrand berichtete 1951 erstmals über diese neue Technik [21], gefolgt von Bost und Larsen [3]. Bei diesem „Lengthening over Nail“ (LoN) genannten Verfahren verhindert ein im Markraum liegender Nagel bei der Distraktion eine Achsabweichung der Knochenfragmente. Bei korrekter Anwendung sind die Ergebnisse mit denen interner Verlängerungsimplantate vergleichbar [4].

Ebenfalls eine Weiterentwicklung des Fixateur externe stellen die sogenannten "Hexapoden" dar. Diese können neben der Achsverlängerung computergestützt auch begleitende Achsabweichungen und Drehfehler korrigieren und finden daher immer mehr in der Kinderorthopädie ihren Einsatz [5].

Allen externen Fixateurmodellen gemein ist die Gefahr der Ausbildung von Kontrakturen aufgrund der Weichteilfixation, eine mögliche Infektion aufgrund der bestehenden Läsionen der Hautoberfläche als möglich Eintrittspforte für Keime sowie das kosmetisch häufig unbefriedigende Endergebnis [6].

Um diese Probleme zu umgehen, wurden interne Verfahren zur Distraktion entwickelt. Zu nennen sind hier beispielsweise der Albizzia®-Nagel, der Guichet® Nail, als hauptsächlich in Frankreich eingesetzte Weiterentwicklung des ersteren, der ISKD® (Intramedullary Skeletal Kinetic Distractor) und der Fitbone®. Erstere drei bedienen sich einem mechanischen Ratschenmechanismus. Der 1990 von Betz et al. an der Chirurgischen Klinik Innenstadt der Ludwig-Maximilians-Universität München entwickelte Fitbone®-Nagel wird hingegen über einen elektrischen Motor angetrieben, der transkutan mit Strom versorgt wird [7].

Neueste Modelle bedienen sich einer magneto-mechanischer Funktionsweise. Hier sind der 2012 entwickelte PHENIX® [8] und der PRECICE® Verlängerungsmarknagel [9] zu nennen.

Im Gegensatz zu den Implantaten mit Ratschenmechanismen oder dem Fitbone® ist bei beiden magneto-mechanischen Produkten bei noch plastischem Kallus eine gezielte Verkürzung ohne weiteren Eingriff möglich [10].

Letztendlich muss bei allen operativen Interventionen angemerkt werden, dass ein gesunder Knochen künstlich gebrochen wird und hierdurch gravierende Komplikationen eintreten können: u.a. Infektbildung, verzögerte Knochenheilung, Refraktur, usw. Auch ist mit einer sehr langen Therapiedauer zu rechnen. Bei Kindern beträgt die Therapiedauer pro Zentimeter Längengewinn etwa einen Monat, bei Erwachsenen das Zwei-bis Dreifache. Die Indikation sollte daher immer stets streng geprüft werden.

Bei rein kosmetischen Eingriffen ist meist eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen nicht möglich. Insbesondere Verlängerungsoperationen sind mit einem Kostenfaktor von ca. 50000€ vergesellschaftet. Diese Aufwendungen müssen Betroffenen bei rein kosmetischen Operationen alleine tragen. Liegt eine medizinische Indikation zugrunde, wie bspw. ein durch Krankheit bedingter Kleinwuchs, erstatten private und gesetzliche KV zumindest einen Teil der Kosten.

Auch ist zu erwähnen, dass es in Deutschland nur wenige Kliniken gibt, die aus rein kosmetischen Gründen einen solchen Eingriff durchführen. Grundvoraussetzung für eine OP aus diesem Grund ist daher die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens, welches die starke psychische Belastung attestiert.

Literatur

[1] Jürgens C., Schmidt H., Schümann U., Fink B.: Der Ilisarow-Ringfixateur und seine technische Anwendung. Der Unfallchirurg 95 (1992), S. 529–533.

[2] Beinverlängerung im OP. Verlagshaus der Ärzte – Gesellschaft für Medienproduktion und Kommunikationsberatung. Onlineartikel aus Heft 11/2008

[3] Bertrand, P. „Technique d`allongement du fémur dans les grands Raccourcissements“. Rev. Chir. Orthop. 37 (1951): 530–33

[4] Bost, F.C., und L.J. Larsen. „Experiences with Lengthening of the Femur over N Intramedullary Rod“. The Journal of Bone and Joint Surgery. American Volume 38-A, Nr. 3 (Juni 1956): 567–84

[5] [Mahboubian, S., M. Seah, A.T. Fragomen, und S.R. Rozbruch. „Femoral Lengthening with Lengthening over a Nail has Fewer Complications than Intramedullary Skeletal Kinetic Distraction“. Clinical Orthopaedics and Related Research, 6. Dezember 2011. doi:10.1007/s11999-011-2204-4.]

[6] Milind Chaudhary (2016): Taylor Spatial Frame. Kapitel 147 in: G. S. Kulkarni: Textbook of orthopedics and trauma (3nd ed.). Band 2, Seiten 1193-1198. Jaypee Brothers Publishers. ISBN 978-9385891052.

[7] Frankenberg F., Vergleich von zwei Verlängerungsmarknägeln im Rahmen einer Matched-Pair-Studie. Dissertation Humanmedizin, Ludwig-Maximilians-Universität München, 2015

[8] Betz u.a. „First fully implantable intramedullary system for callus distraction--intramedullary nail with programmable drive for leg lengthening and segment displacement. Principles and initial clinical results“. Der Chirurg 61, Nr. 8 (August 1990): 605–9.

[9] Konofaos, P., A. Kashyap, M.D. Neel, und J.P. Ver Halen. „A Novel Device for Long Bone Osteodistraction: Description of Device and Case Series“. Plastic and Reconstructive Surgery 130, Nr. 3 (September 2012): 418e – 22e. doi:10.1097/PRS.0b013e31825dc069.

[10] Kirane, Y.M., A.T. Fragomen, und S.R. Rozbruch. „Precision of the PRECICE(®) Internal Bone Lengthening Nail“. Clinical Orthopaedics and Related Research, 28. März 2014. doi:10.1007/s11999-014-3575-0.

[11] Thaller, P.H., J. Fürmetz, F. Wolf, T. Eilers, und W. Mutschler. „Limb lengthening with fully implantable magnetically actuated mechanical nails (PHENIX®)-Preliminary results“. Injury 45 Suppl 1 (Januar 2014): S60–65. doi:10.1016/j.injury.2013.10.029.

Hinweise für Patienten

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Umstrittene Wirksamkeit
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