Botulinumtoxin

Dieser Artikel beleuchtet das Präparat Botulinumtoxin, welches zunehmend bei orthopädisch-unfallchirurgischen Erkrankungen und zur Schmerztherapie eingesetzt wird. Es existieren eine Reihe von zugelassenen und auch Off-Label-Indikationen. Wirkprinzipien, erwünschte und unerwünschte Wirkungen sowie Wechselwirkungen und Dosierungsfragen werden dargelegt.

Botulinumtoxin ist ein Gift, welches in verschiedenen Untertypen von einem Bakterium, dem Clostridium botulinum, produziert wird. Die Untertypen sind für Menschen und manche Tierarten giftig. Das Gift führt für eine gewisse Wirkdauer zu einer irreversiblen Lähmung an Muskeln und Drüsen, danach ist der Effekt allerdings in der Regel vollständig wieder umkehrbar. Neuere Forschungen deuten darauf hin, dass das Botulinumtoxin zusätzlich auch durch eine Hemmung verschiedener Stoffe wie Substanz P und CRGP bei der Schmerzweiterleitung schmerzlindernd wirken kann. In starker Verdünnung kann es auch als Medikament genutzt werden. Es existieren eine Reihe von anerkannten Indikationen vornehmlich im Bereich Neurologie, Urologie und Augenheilkunde, darüber hinaus auch teilweise mit, teilweise ohne offizielle Zulassung im Bereich Schmerztherapie und bei manchen orthopädisch-unfallchirurgischen Erkrankungen.

Vertreter

Abobotulinumtoxin A, Incobotulinumtoxin A, Onabotulinumtoxin A, Rimabotulinumtoxin B

Wirkprinzip

Die Erregung eines Muskels und auch von Schweiß- und Speicheldrüsen erfolgt dadurch, dass mittels eines elektrischen Impulses entlang eines Nervs an der letzten Umschaltstelle (Synapse) ein bestimmter Botenstoff, das Acetylcholin, freigesetzt wird. Dieser Wirkstoff bewirkt am Zielorgan schließlich die Aktion, also die Muskelkontraktion bzw. den Ausstoß von Sekreten aus Drüsen. Der Botenstoff wirkt also wie eine Art Schalter. Botulinumtoxin verhindert irreversibel die Freisetzung des Botenstoffes für etwa drei bis vier Monate (Muskel) bzw. etwa sechs bis neun Monate (Drüse). Die Wirkung beginnt nach einigen Tagen bis ca. ein bis zwei Wochen, die maximale Wirkung zeigt sich im Bereich Muskulatur nach ca. sechs Wochen und im Bereich Drüsen nach ca. zwölf Wochen. Nach dieser Zeit haben sich die Mechanismen für die Freisetzung wieder neu ausgebildet, die Funktion kehrt zurück.

Therapeutisch nutzen kann man das Gift, indem man es in starker Verdünnung in Muskeln oder Drüsen injiziert und damit je nach Menge die Funktion des Muskels oder der Drüse schwächt oder aufhebt. Neuere Therapieansätze setzen auch an anderen Stellen des Körpers außerhalb von Muskel und Drüse an, wodurch ebenfalls eine Schmerzlinderung resultieren kann. Genutzt werden vier Formen des Untertyps A und seltener auch eine Form des Untertyps B des Botulinumtoxins. Neuere Forschungen deuten darauf hin, dass mit diesen auch eine gewisse Schmerzhemmung möglich ist: So wirkt Botulinumtoxin auf Substanz P und das sogenannte Calcitonin gene related peptid (CGRP), wodurch die Reizweiterleitung im sensiblen Schenkel gehemmt und so die Schmerzwahrnehmung reduziert werden kann: Im Körper werden Reize zunächst von verschiedenen Empfängern (Rezeptoren) erfasst, über die Nerven dann zum Rückenmark und letztendlich zu bestimmten Gehirnarealen weitergeleitet, und erst dort wird aus dem elektrischen Impuls die Wahrnehmung, zum Beispiel als Schmerz. Diese Wirkung scheint jedoch nicht für alle Schmerzarten zu gelten: Nozizeptive Schmerzen werden wohl nicht wesentlich beeinflusst, neuropathische Schmerzen dagegen wohl schon.

Toxikologie und Botulismus

Die krankmachende Wirkung geht von einem Gift aus, welches in verschiedenen Untertypen von einem Bakterium, dem Clostridium botulinum, produziert wird. Das Bakterium selber ist prinzipiell harmlos, es handelt sich also nicht um eine Infektion, sondern um eine Vergiftung. Manche Untertypen sind für den Menschen giftig, andere Untertypen für bestimmte Tiere wie zum Beispiel Pferde, Rinder und Wasservögel. Manche Untertypen sind sowohl für Menschen als auch für Tiere giftig. Das Toxin ist das stärkste bekannte Gift weltweit. Die Erkrankung bei Vergiftung nennt man Botulismus. Sie ist in Europa selten, beginnt mit Lähmungen und ist anfangs schwer zu diagnostizieren. Unbehandelt ist sie in der Regel rasch tödlich, man erstickt bei vollem Bewusstsein. Durch eine Behandlung mit Antiseren können mehr als 90 Prozent der Betroffenen erfolgreich therapiert werden, die Lähmungen verbleiben aber teilweise über Monate. Das Gift ist als biologisches Kampfmittel der höchsten Gefährdungsstufe klassifiziert, schon der Nachweis von Antikörpern im Labor und die klinische Verdachtsdiagnose bedingen eine namentliche Meldung bei den Gesundheitsbehörden.

Einsatzgebiete

In starker Verdünnung und damit ohne reelle Vergiftungsgefahr ist das Gift als Medikament nutzbar. Hier existieren Behandlungsverläufe von bis zu 30 Jahren, weltweit wurden die Medikamente viele Millionen Mal eingesetzt. Aus der langjährigen Erfahrung mit sehr vielen Anwendungen kann das Präparat als sicher gelten.

Die ersten klinischen Anwendungen erfolgten vor circa 50 Jahren durch einen amerikanischen Augenarzt, welcher das Toxin zur Schwächung von Muskeln beim Schielen einsetzte. Das erste zugelassene Präparat erschien 1989, nachfolgend erschienen eine Reihe weiterer Präparate. Wesentliche klinische Unterschiede hinsichtlich der Wirksamkeit der verschiedenen Präparate sind bisher nicht festgestellt worden, es gibt Hinweise auf eine unterschiedlich große Ausbreitung vom Injektionsort aus, wobei manche Präparate wohl tendenziell mehr an der Stelle bleiben, an welcher sie injiziert wurden, andere Präparate sich aber teilweise um mehrere Zentimeter verteilen. Prinzipiell in Deutschland anerkannte Indikationen sind:

  • Chronische Migräne
  • Blepharospasmus (krampfhaftes Zusammenziehen der Augenlider)
  • Hemifascialer Spasmus (einseitige Verkrampfung der Gesichtsmuskulatur)
  • Cervikale Dystonie (Verkrampfung von Teilen der Halsmuskulatur mit Schiefhaltung zur Seite, nach vorne oder nach hinten, teilweise in Kombination mit Rotationen)
  • Spastik nach Schlaganfall
  • vermehrte Schweißneigung Achselhöhle
  • überreagierende Harnblase
  • Zornesfalte und „Krähenfüße“

Zulassungen und Ausbildungen

Es existieren eine Reihe von offiziell zugelassenen Indikationen, wobei nicht jedes Präparat auch in allen Ländern für alle Indikationen zugelassen ist. Voraussetzung für die ordnungsgemäße Injektion ist ferner auch der Umstand, dass die Behandlerin oder der Behandler auch über eine entsprechende Erfahrung und Ausbildung verfügt.

Erwünschte Wirkungen

Die Präparate bewirken nach kurzer Zeit eine Hemmung der Muskelfunktion bzw. der Drüsenfunktion, wobei das Ausmaß vom Injektionsort und vor allem von der Menge abhängt, wobei auch individuelle Schwankungen zu beachten sind. Neben dieser ausführungshemmenden Wirkung existieren auch Wirkungen mit Hemmung der Schmerzwahrnehmung, wobei diese Effekte noch nicht abschließend geklärt sind. Diese weiteren Wirkungsmechanismen sind jedoch vorhanden, da eine Reihe von nachweislichen Wirkungen nicht alleine mit dem muskel- und drüsenhemmenden Effekt erklärt werden können.

Unerwünschte Wirkungen und Kontraindikationen

Bei korrekter Durchführung und Dosierung wirkt das Präparat regelmäßig, eine reduzierte oder aufgehobene Wirksamkeit ist selten und basiert meist auf einer Antikörperbildung, das heißt der Körper produziert seinerseits Stoffe, welche das Botulinumtoxin unwirksam machen. Die Häufigkeit einer solchen Antikörperbildung ist jedoch gering (maximal etwa ein Prozent), sie erfolgt in der Regel erst nach vorher durchgeführten Injektionen, ist also fast immer erworben, bei einem bestimmten Präparat wurde kein einziger Fall einer klinisch relevanten Antikörperbildung bekannt. Da es sich bei den verschiedenen Präparaten um ein identisches Toxin mit unterschiedlichen Hüllproteinen handelt, kann man versuchen, in solchen Fällen durch einen Präparatewechsel der Neutralisation entgegenzuwirken. Häufiger als eine mangelnde oder fehlende Wirksamkeit durch neutralisierende Antikörper dürften aber Fehler in der Indikationsstellung sowie in der Durchführung sein: Der falsche Muskel wird injiziert, es liegen zusätzliche weitere Erkrankungen mit überlappenden Symptomatiken vor, die Diagnose und damit die Indikation stimmt nicht, es wurde zu wenig oder an die falsche Stelle gespritzt. Umgekehrt besteht auch bei besonders empfindlichen Menschen oder irrtümlich die Gefahr einer Überdosierung. Für alle gängigen Indikationen existieren jedoch schriftliche Anwendungshinweise und oft auch Bildatlanten.

Abhängig vom Injektionsort sind potentielle unerwünschte Wirkungen zu beachten. Die Injektion im Bereich der Augen zur Behandlung des Blepharospasmus oder auch die zielgerichtete Schwächung einzelner Augenmuskeln zur Behandlung des Schielens bedürfen einer genauen Diagnose und hinreichender Erfahrung, um zu vermeiden, dass nicht ungewollt weitere Muskeln geschwächt werden. Dies muss nicht zwangsläufig aus einer fehlerhaften Injektion resultieren (zum Beispiel zu tief gespritzt). Manchmal kann hier auch die Aufnahme und Verteilung des Präparates im Körper ausreichen, welche individuell unterschiedlich sein kann – also ein schicksalhafter und nicht durch ärztliche Fehler bedingter Verlauf. Hieraus können im Bereich Auge zum Beispiel funktionell Doppelbilder für die Wirkdauer des Präparates, also in der Regel etwa drei Monate, resultieren.

Im Bereich der Vorderseite und der seitlichen Regionen des Halses besteht die Gefahr, dass auch die tiefer gelegene Schluckmuskulatur behandelt wird, mit dem Resultat von Schluckstörungen. Im Bereich der kurzen Nackenmuskeln kann eine Überdosierung dazu führen, dass eine Zeit lang der Kopf nicht hinreichend muskulär auf dem Hals stabilisiert werden kann. Eine Überdosierung bei der Behandlung des Tennisellenbogens kann dazu führen, dass eine Zeit lang die aktive Streckung in den Fingern oder im Handgelenk eingeschränkt oder aufgehoben ist. Es existieren darüber hinaus in Einzelfällen eine Reihe weiterer möglicher Nebenwirkungen, näheres hierzu in den Packungsbeilagen der Präparate. In der Regel wird das Medikament bei korrekter Anwendung aber gut vertragen.

Es existieren eine Reihe von generellen Kontraindikationen, bei welchen die Präparate nicht angewendet werden sollten: bei neuromuskulären Erkrankungen wie der Myasthenia gravis oder dem Lambert-Eaton-Syndrom, bei einer zum Zeitpunkt der Injektion bestehenden Schwangerschaft (da nicht hinreichend bekannt ist, ob und inwiefern das Medikament eine Schwangerschaft beeinträchtigt) oder auch bei gleichzeitiger Einnahme von bestimmten Antibiotika (Aminoglykoside) bei Wirkungsabschwächung.

Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten

Bekannt sind hier Wechselwirkungen mit bestimmten Antibiotika und bestimmten Präparaten zur Muskellockerung.

Einnahme und Wirkdauer

Die Präparate werden injiziert, die schmerzhemmende Wirkung setzt häufig etwas früher ein als die Muskel- und Drüsenschwächung, Wirkungen zeigen sich meist nach etwa zwei bis vier Wochen, die maximale Wirkung ab circa sechs Wochen (bei Drüsen zwölf Wochen). Die Wirkdauer beträgt in der Regel etwa drei Monate, im Bereich der Drüsen etwa sechs bis neun Monate. In Einzelfällen kann die Wirkung auch länger anhalten bzw. die Symptomatik nur abgeschwächt wieder auftauchen. Bei den Präparaten handelt es sich also keinesfalls um eine Therapieform, welche zur raschen Symptombehandlung eingesetzt werden kann, es bedarf einer gewissen Vorlaufzeit. Insgesamt kann man grob überschlägig davon ausgehen, dass etwa zwei Drittel der behandelten Patientinnen und Patienten von der Therapie profitieren. Fehlschläge sind unter anderem bedingt durch: falsche Indikation, falscher Injektionsort, falsche Dosierung, multifaktorielle Erkrankungen, Antikörperbildung, individuelle Disposition, falsche Erwartungshaltung.

Dosierung

Je nach Indikation existieren Therapieempfehlungen, welche jedoch oft individuell angepasst werden sollten. So sollten Körpergröße, Körpergewicht und Geschlecht berücksichtigt werden, der gleiche behandelte Muskel bedarf zum Beispiel bei einem athletischen schweren Mann einer anderen Dosierung als bei einer zierlichen Frau. Grundsätzlich sollte man sich speziell bei der ersten Behandlung eher am unteren Rand der Dosierungsempfehlungen bewegen, bei Folgebehandlungen kann der Behandler die Dosis dann gegebenenfalls anpassen.

Wird die individuell sinnvolle Dosierung deutlich überschritten, so resultiert hieraus neben höheren Medikamentenkosten auch eine stärkere Abschwächung der Muskeln oder Drüsen und eventuell auch vermehrte weitere Nebenwirkungen, ohne dass man einen positiven zusätzlichen Effekt verzeichnen kann. Ein „Viel hilft viel“ ist hier oft nicht zielführend, so führt eine Überdosierung zum Beispiel bei Behandlung einer Epicondylitis nicht zu einem größeren Therapieerfolg im Sinne einer Schmerzlinderung, sondern im Gegenteil nur zu einer zu starken Lähmung der Muskulatur mit einer Störung der Gebrauchsfähigkeit für mindestens zwei Monate.

Umgekehrt ist ein „Zuwenig“ auch nicht zielführend, da dann nicht die notwendige Dosierung für das gewünschte Therapieziel erreicht wird. Grundsätzlich gibt es auch für die einzelnen Präparate Höchstdosierungen, wobei diese gerade im Bereich der Behandlung der Spastik relativ schnell erreicht werden. Man muss sich hier dann auf die vorrangigen Probleme begrenzen. Neuere Studien zeigen jedoch, dass selbst bei Überschreitung der Höchstdosen um das Doppelte die Präparate weiter als sicher einzustufen sind, eine Anpassung der Höchstdosen erscheint hier demnächst denkbar.

Die Therapiefrequenz richtet sich nach der individuellen Situation des einzelnen Patienten bzw. der einzelnen Patientin. Nachinjektionen sollten möglichst vermieden werden, um nicht die Entwicklung der sonst seltenen Nebenwirkung der Antikörperbildung zu begünstigen, wobei das Risiko vermutlich auch dosisabhängig ist: wenige Einheiten in der ästhetischen Medizin sind wohl weniger risikobehaftet als umfangreiche Nachspritzungen im Bereich der Spastik. Als Faustformel kann die Wirkdauer der Medikamente angenommen werden, also weitere Behandlungen frühestens nach circa drei Monaten.

Hinweise für Patienten

Dieser Lexikoneintrag enthält nur allgemeine Informationen und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.

Off-Label-Use
Hinweis: Die Anwendung des oder der oben genannten Arzneimittel ist für die aufgeführten Indikationen eventuell nicht offiziell zugelassen. Es handelt sich in diesem Fall um einen sogenannten Off-Label-Use des Präparates, der von gesetzlichen oder privaten Krankenkassen oder Beihilfen in der Regel nicht erstattet wird.
Weitere Informationen…

Umstrittene Wirksamkeit
Hinweis: Bei den oben aufgeführten Diagnose- bzw. Behandlungsverfahren kann es sich eventuell um wissenschaftlich umstrittene und derzeit nicht von allen Experten wissenschaftlich anerkannte Methoden handeln. Die Kosten dieser Anwendungen werden von gesetzlichen oder privaten Krankenkassen oder Beihilfen in der Regel nicht erstattet.
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Ärzte mit der Behandlungsmethode Botulinumtoxin in der Umgebung von Ashburn

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