Rheuma und Krebs
Welche Wechselwirkungen zwischen diesen beiden Krankheiten bestehen und wie die zugrundeliegenden Krankheitsmechanismen oder die medikamentösen Therapien sich gegenseitig beeinflussen, ist jedoch noch weitgehend unerforscht. Ein 2018 von Heidelberger Medizinern initiiertes Register, das derzeit auf weitere Zentren in Deutschland ausgeweitet wird, soll die Zusammenhänge genauer beleuchten und langfristig eine Grundlage für therapeutische Entscheidungen schaffen. Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e. V. (DGRh) stellt das so genannte MalheuR-Projekt und erste Auswertungen anlässlich des Welt-Rheuma-Tages am 12. Oktober 2020 vor.
Von einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung sind rund fünf bis acht Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens betroffen, und bösartige Tumore (Malignome) sind eine der häufigsten Todesursachen weltweit. Das Lebenszeitrisiko für jegliche Krebserkrankungen wird vom Robert Koch-Institut mit 45 Prozent angegeben - fast jeder zweite wird Zeit seines Lebens daran erkranken. Dass beide Krankheitstypen zusammentreffen, ist daher bereits aus reinem Zufall zu erwarten. „Darüber hinaus sind beide Erkrankungen aber auch über Immunmechanismen verbunden“, erklärt Prof. Dr. med. Hanns-Martin Lorenz, Leiter der Sektion Rheumatologie am Universitätsklinikum Heidelberg, Vorstandsmitglied der DGRh und einer der Initiatoren des MalheuR-Registers. Denn sowohl Malignome als auch rheumatische Erkrankungen gehen auf eine, wenngleich gegensätzliche, Fehlleistung der Immunabwehr zurück: Während das Immunsystem bei Menschen mit Rheuma aggressiv auf körpereigene Gewebe reagiert und somit überschießend aktiv ist, gelingt es ihm bei Tumorpatienten nicht, bösartige Zellen zu attackieren und in Schach zu halten – ist tendenziell also zu wenig wachsam.
Dennoch können die so unterschiedlichen Erkrankungen sich gegenseitig beeinflussen und fördern. So ist bekannt, dass manche rheumatische Erkrankungen das Risiko für bestimmte Tumorarten erhöhen – Patienten mit Sjögren-Syndrom etwa erkranken häufiger an einem Lymphkrebs als Nicht-Rheumatiker, dies gilt prinzipiell auch für alle chronisch entzündlichen Erkrankungen. „Auch von der Rheumamedikation kann eine krebsfördernde Wirkung ausgehen“, sagt Lorenz. Indem die Rheumamittel das Immunsystem ruhigstellen, reduzieren sie auch dessen Angriffslust gegen Tumorzellen. Die Frage, wie hoch das Malignomrisiko von Rheumapatienten ist, wird mit einem von drei Teilbereichen des neuen Registers adressiert, dem so genannten RheuMal-Register. In ihm werden Rheumapatienten erfasst, bei denen sowohl eine Rheuma- als auch Krebserkrankung vorliegt. „Erste Daten aus diesem Teilbereich zeigen bereits, dass Rheumapatienten durchschnittlich einige Jahre früher an bestimmten Krebsarten erkranken als Nicht-Rheumatiker“, berichtet Frau Dr. Karolina Benesova, Oberärztin der Sektion Rheumatologie am Universitätsklinikum Heidelberg. In der Regel werde die Rheumamedikation dann pausiert oder umgestellt. Ob diese Therapieentscheidung im Einzelfall notwendig und sinnvoll ist, und von welchen Faktoren sie abhängig gemacht werden sollte – etwa vom Rheumatyp, der konkreten Medikation oder dem Alter des Patienten – hierauf soll das RheuMal-Register eine Antwort geben.
Therapierelevante Aussagen erhoffen sich die Initiatoren auch von den beiden anderen Teilregistern. „Im so genannten ParaRheuMa-Register geht es um rheumaähnliche Symptome, die im Rahmen einer Krebserkrankung entstehen “, erläutert Benesova. Schmerzen im Bewegungsapparat seien ein häufiges – manchmal sogar das erste – Symptom einer Malignomerkrankung. Um die Krebsdiagnose zu beschleunigen wäre es wichtig, solche paraneoplastischen Beschwerden von tatsächlichem Rheuma unterscheiden zu können. Ein Ziel des Registers ist es daher, mögliche Unterschiede im Beschwerdemuster aufzudecken sowie der Frage nachzugehen, ob bestimmte Symptome gehäuft bei bestimmen Krebsarten auftreten.
Das dritte Teilprojekt letztlich bündelt Daten von Patienten, die aufgrund einer Krebstherapie rheumatische Symptome entwickeln. Besonderes Augenmerk gilt hierbei der immunologischen Tumortherapie, die diese Nebenwirkung bei etwa jedem zehnten Krebspatienten unter Behandlung auslöst. „Gerade bei einer Therapie mit den neuen Checkpoint-Inhibitoren treten solche Symptome, die alle Organsysteme betreffen und viele verschiedene Rheumaarten imitieren können, fast regelhaft auf“, sagt Professor Dr. med. Hendrik Schulze-Koops, Leiter der Rheumaeinheit des Klinikums der LMU München und Präsident der DGRh. Auch hier stelle sich die Frage nach der Unterscheidbarkeit, dem Verlauf der Symptome sowie die Frage, inwieweit eine antirheumatische Therapie den Erfolg der Krebsbehandlung gefährde. „Von dem Register erhoffen wir uns konkrete Handlungsempfehlungen dazu, wie Rheuma und Krebs im Falle einer Doppelerkrankung therapiert werden sollten“, fasst Schulze-Koops zusammen. Im Idealfall ließen sich damit noch bestehenden Unsicherheiten abbauen – auf Seiten der Patienten ebenso wie auf Seiten der behandelnden Ärzte.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e.V. (DGRh)