Vorderer Knieschmerz

Als vorderen Knieschmerz oder patellofemorales Schmerzsyndrom (PFSS) bezeichnet man Schmerzen um die Kniescheibe, die betont bei Belastungen wie zum Beispiel Kniebeugen, Springen, Treppensteigen oder Treppabgehen, tiefer Hocke und längerem Sitzen mit gebeugten Knien auftreten.

Häufigkeit

Das patellofemorale Schmerzsyndrom (PFSS) gehört zu den häufigsten Krankheitsbildern in der sportorthopädischen Sprechstunde, ca. 10 Prozent der in der Praxis des Autors in den letzten 20 Jahren behandelten Patienten und Patientinnen litten darunter. Es tritt in aller Regel in der Altersgruppe von 12 bis 45 Jahren auf, Frauen sind etwas häufiger betroffen.

Ursachen

Die Ursachen für ein PFSS sind im Einzelnen unklar. Die früher verbreitete Theorie einer Knorpelschädigung hinter der Kniescheibe als Schmerzursache wurde durch die wissenschaftliche Beobachtung widerlegt, dass vom Knorpel an sich kein Schmerz ausgehen kann. Vielmehr ist das Gewebe um die Kniescheibe stark mit Schmerzrezeptoren versehen. In der wissenschaftlichen Literatur wurden viele Faktoren als mögliche Ursachen genannt, unter anderem Abweichungen in der Kniescheibenform oder der Beinachse, eine Schwäche der Muskulatur von Oberschenkel und Hüfte, Muskelverkürzungen, Fußfehlstellungen sowie Überbelastung. Aufgrund der widersprüchlichen Forschungsergebnisse zu einzelnen Ursachen geht man heute von einem multifaktoriellen Geschehen aus, bei dem jeweils mehrere dieser Faktoren eine Rolle spielen.

Symptome und Verlauf

Auch ohne jegliche Therapie bzw. durch Anpassung der sportlichen Aktivitäten haben Betroffene erwiesenermaßen eine gute langfristige Prognose. Trotzdem sind viele Patientinnen und Patienten beunruhigt und fühlen sich in ihrer sportlichen Belastbarkeit deutlich eingeschränkt.

Während in den 1980er und 1990er Jahren vielfach operative Therapieformen wie Knorpelglättung, Spaltung der Kniekapsel und Anbohrung der Kniescheibe empfohlen wurden, wird seit Beginn der 2000er Jahre vor dem unkritischen Einsatz operativer Eingriffe gewarnt.

In der konservativen Therapie des PFSS werden verschiedene Methoden angewendet, für die es in der wissenschaftlichen Literatur allerdings meist keine konkreten Empfehlungen gibt. Für den Einsatz von Bandagen, Taping, Neurostimulation oder Elektromuskelstimulation (EMS) gibt es keinen Wirkungsnachweis, lediglich Schuheinlagen konnten in einigen Fällen zu einer Beschwerdebesserung führen.

Bei den aktiven Behandlungsformen werden meist Kräftigungsübungen der Oberschenkelmuskulatur, also des Musculus quadrizeps und hier besonders des Musculus vastus medialis bzw. vastus medialis obliquus (VMO) empfohlen. Hierbei ist allerdings kritisch anzumerken, dass nach einigen Untersuchungen das gezielte Auftrainieren des VMO gar nicht möglich ist.

In der Praxis klagen viele Patienten gerade nach intensivem Quadrizepstraining über eine Verstärkung der Beschwerden. In wissenschaftlichen Studien konnte außerdem festgestellt werden, dass nahezu alle Betroffenen eine zum Teil massive Verkürzung der Muskeln zur Kniestreckung und Hüftbeugung aufweisen. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen konnte nachgewiesen werden, dass auch eine Dehnung der Oberschenkel- und Hüftmuskeln zu einer Besserung führt.

Die Erfolgsraten sowohl der Dehnung als auch der Kräftigungsübungen liegen bei über 80 Prozent, die alleinige Anpassung der sportlichen Aktivität führt schon bei 50 Prozent der Betroffenen zu einer Besserung, die Sportfähigkeit insgesamt liegt auch nach 11 bis 16 Jahren bei ca. 90 Prozent der Patientinnen und Patienten.

Diagnose

Es gibt keine spezifischen Untersuchungsmethoden zum Nachweis eines PFSS. Entscheidend sind die oben geschilderten Symptome eines Schmerzes um die Kniescheibe, hinter der Kniescheibe oder am Kniescheibenrand bei den oben genannten Belastungen (Abb. 1 und Abb. 2).

Abb. 1: Schmerzlokalisation am Kniescheibenrand bei PFSS (Quelle: Dr. Michael Dickob)
Abb. 2: Sogenanntes „Grab sign“ als Schmerzangabe beim PFSS (Quelle: Dr. Michael Dickob)

Bei der weiteren Untersuchung werden andere Krankheitsbilder wie zum Beispiel die Entzündung der Kniescheibensehne, eine bereits bestehende Arthrose hinter der Kniescheibe oder andere Krankheitsbilder ausgeschlossen. Auch die Röntgenuntersuchung des Kniegelenkes und die Untersuchung mittels Ultraschall dienen vor allem der Ausschlussdiagnostik. In besonders hartnäckigen Fällen kann auch eine Kernspintomographie des Kniegelenkes zur weiteren Ausschlussdiagnostik erfolgen.

Sind die Befunde der bildgebenden Untersuchungsmethoden unauffällig, führt dies nicht selten zu Frustrationserlebnissen bei den Betroffenen. Hier sollten Patientinnen und Patienten das Gespräch mit dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin suchen: ihnen obliegt es, entsprechend darüber aufzuklären.

Therapie und Nachsorge

Auf die verschiedenen Therapieansätze wurde im Kapitel Symptome und Verlauf bereits eingegangen. Insbesondere ist die gute langfristige Prognose hervorzuheben, sodass operative Ansätze heute fast immer vermieden werden sollten.

Die Anpassung der sportlichen Aktivität mit Vermeidung oder Verringerung von Belastungen wie zum Beispiel Beinpresse, Legcurler oder tiefe Kniebeugen mit oder ohne zusätzliches Gewicht führen oft zum Erfolg. Bei verkürzten Oberschenkel- und Hüftmuskeln sind zusätzliche Dehnungen empfehlenswert (Abb. 3). Diese Dinge können Patientinnen und Patienten selbst durchführen. Bei Kräftigungsübungen sollte eher strecknah gearbeitet werden als in tiefer Hocke.

Abb. 3: Dehnungsübung: Dehnung der Hüftbeuger und Kniestrecker, jeweils viermal für fünf Sekunden (Quelle: Dr. Michael Dickob)

Autor:

Dr. med. Michael Dickob

Orthopädische Praxis Dr. Dickob und Dr. Rieckel
Bahnhofstraße 30 b
33602 Bielefeld

Literatur auf Nachfrage beim Autor

Hinweise für Patienten

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