Heparin
Heparine sind körpereigene Vielfachzucker (Polysaccharide), welche die Blutgerinnung hemmen. Sie werden therapeutisch immer dann eingesetzt, wenn eine Übergerinnbarkeit des Blutes, zum Beispiel nach Verletzungen, mittleren und großen Operation oder bei bösartigen Erkrankungen, den Patienten gefährdet.
Heparin und andere Medikamente zur Verhütung von Thrombosen
Die Blutgerinnung ist ein lebenswichtiger Prozess, der die bei Verletzungen der Blutgefäße entstehenden Blutungen zum Stehen bringt. Dadurch wird ein Blutverlust aus dem Blutkreislauf verhindert und die Wundheilung ermöglicht. Die Blutgerinnung muss aber auf den Bereich der Verletzung beschränkt bleiben und darf nicht durch andere Umstände wie Krankheiten oder Bettlägerigkeit ausgelöst werden. Ohne Thrombose-Prophylaxe mit Heparin und den modernen Nachfolgemedikamenten kommen venöse Thromboembolien (Gerinnung des Blutes in den Venen und damit Verlegung des Blutabflusses) bei 40 bis 60 Prozent der Patienten vor, die Hüft- oder Kniegelenk-Endoprothesen bekommen [1]. Neue orale Antikoagulanzien (NOAKs) haben nur eine Zulassung zur Verhütung von Thrombosen bei Hüft- und Kniegelenk-Prothesen (und Vorhofflimmern), nicht aber bei Knochenbrüchen.
Blutgerinnung
Die Blutgerinnung lässt sich in zwei Teilvorgänge aufteilen, die jedoch miteinander in Wechselwirkung stehen. In der ersten Phase, der Blutstillung, sind die Blutplättchen (Thrombozyten), die Wandzellen des betroffenen Blutgefäßes, sowie Gewebe außerhalb des Gefäßes beteiligt. Vereinfacht dargestellt verengt sich das Gefäß zunächst, dann heften sich Blutplättchen an das Leck, verkleben untereinander und stellen so den ersten Wundverschluss her. In der zweiten Phase der Blutgerinnung wird dieser noch lose Verschluss durch die Bildung von Fibrin-Fäden verstärkt. Fibrin ist der „Klebstoff“ der plasmatischen Blutgerinnung. Hierbei spielt die Aktivierung von etwa einem Dutzend im Blutplasma enthaltenen Gerinnungsfaktoren eine wichtige Rolle. Ein genetischer Defekt von Gerinnungsfaktoren kann zu Krankheiten wie der Hämophilie (Bluterkrankheit) oder der Thrombophilie (Übergerinnbarkeit) führen. Die einsetzende Wundheilung wird durch Wachstumsfaktoren initiiert, die von den Blutplättchen und den Zellen der Gefäßwände abgegeben werden. Am Ende der Wundheilung wird das Fibrin durch das fibrinolytische System des Blutplasmas aufgelöst.
Heparin
Heparine (altgr. Hepar = Leber) sind körpereigene Vielfachzucker (Polysaccharide), die hemmend auf die Blutgerinnung wirken. Chemisch gesehen handelt es sich um Glykosaminoglykane, bestehend aus einer variablen Anzahl von Aminozuckern. Natürliche Heparine werden aus der Dünndarmschleimhaut von Schweinen gewonnen [2]. Heparin wird nicht aus dem Magen-Darm-Trakt aufgenommen und muss deshalb gespritzt werden. Heparin-Salbe wird zur unterstützenden Behandlung bei akuten Schwellungszuständen nach stumpfen Verletzungen (Blutergüssen) angewandt [3], obwohl Heparin aufgrund seiner physikochemischen Eigenschaften die Haut nicht durchdringen kann und somit in Salbenform wirkungslos ist [4].
Als Arzneimittel wird zum einen das sogenannte unfraktionierte Heparin (auch Standardheparin genannt) verwendet. Durch chemische oder enzymatische Spaltung und Fraktionierung werden außerdem niedermolekulare, therapeutisch verwendbare Heparine gewonnen. Zu diesen gehören Certoparin, Dalteparin, Enoxaparin, Nadroparin, Reviparin und Tinzaparin [5].
Niedermolekulare Heparine weisen eine bessere Bioverfügbarkeit und längere Wirkungsdauer auf und werden ausschließlich über die Nieren ausgeschieden. Bei eingeschränkter Nierenfunktion muss die Dosis allerdings reduziert werden. Niedermolekulare Heparine sind nicht plazentagängig, ein Übertritt in die Muttermilch ist nicht bekannt.
Einsatzgebiete
Standardherparin und niedermoelkulare Heparine werden eingesetzt zur:
- Vermeidung von venösen Thrombosen bei Operationen
- Behandlung von tiefen Venenthrombosen und Lungenembolien
- Therapie der nicht massiven (normotensiven) Lungenembolie
- Behandlung von arteriellen Embolien
- Thromboseprophylaxe bei akuten Durchblutungsstörungen der Herzkranzgefäße und Herzinfarkten
- Verhinderung der Blutgerinnung während der Dialyse („Blutwäsche“)
Wirkungsmechanismus
Heparine binden Antithrombine, natürliche Hemmstoffe der Blutgerinnung, vor allem Antithrombin III (AT III). Der daraus resultierende Komplex wird Sofortinhibitor genannt und beschleunigt die Inaktivierung von aktivierten Gerinnungsfaktoren um das Tausendfache. Niedermolekulare Heparine inaktivieren neben dem für die Gerinnung relevanten Prothrombinasekomplex auch den aktivierten Blutgerinnungsfaktor Prothrombin (Faktor II). Sie wirken dadurch noch schneller gerinnungshemmend.
Auch die Faktoren IX (Antihämophilie Faktor B bzw. Christmas Faktor), XI (Rosenthal Faktor) und XII (Hagemann Faktor) werden inaktiviert. Ferner kann Heparin Calcium-Ionen binden, deren Verminderung ebenfalls gerinnungshemmend wirkt.
Unerwünschte Wirkungen
Blutungen sind die gefährlichste Nebenwirkung der Heparine in Zusammenhang mit Verletzungen und Operationen. Das Risiko ist von der Dosis abhängig und steigt mit gleichzeitiger Anwendung anderer blutgerinnungshemmender Medikamente. Als Gegenmittel kann Protamin intravenös verabreicht werden. Heparin kann als Nebenwirkung eine heparininduzierte Thrombozytopenie (Mangel an Blutplättchen) auslösen. Dabei kann es durch Antikörper gegen Heparin sowohl zu lebensgefährlichen Blutungen als auch Blutgerinnselbildungen kommen. Eine Behandlung länger als vier Wochen kann eine messbare Verminderung der Knochendichte auslösen. Bis zu zwei bis drei Prozent der Patienten unter Langzeitbehandlung mit Heparin erleiden osteoporotische Wirbelkörperfrakturen. Bei niedermolekularen Heparinen treten diese Nebenwirkungen seltener auf.
Weitere gerinnungshemmende Medikamente
Heparinoide
Heparinoide sind Arzneistoffe, die ähnlich wie Heparin wirken, aber einen anderen chemischen Aufbau haben. Es handelt sich um selten benötigte gerinnungshemmende Wirkstoffe, die dann verwendet werden, wenn eine Allergie oder Unverträglichkeit für Heparin vorliegt, oder auch bei einer unzureichenden Nierenfunktion und bei Mangel an Blutplättchen.
Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK)
DOAK werden nicht mehr unter die Haut gespritzt, sondern als Tabletten eingenommen. Sie hemmen auf direktem Weg einzelne Gerinnungsfaktoren. Nach ihrer Funktion unterscheidet man:
Faktor Xa-Hemmer
Apixaban
Rivaroxaban
Edoxaban
und
Faktor IIa-Hemmer
Dabigatranetexilat
Ein Vorteil für den Patienten ist die sofortige Wirksamkeit und die Anwendbarkeit als Tablette. Auch müssen keine Blutuntersuchungen wie bei dem gerinnungshemmenden Arzneimittel Marcumar durchgeführt werden. Ein Risiko kann sich daraus ergeben, dass es praktisch kein Gegenmittel gibt, um die Wirkung im Fall einer Blutung sofort aufzuheben. Die DOAKs sind nur zugelassen zur Vermeidung von Venenthrombosen im Rahmen einer Operation zum Einbau einer Hüft- und Kniegelenksprothese und beim Vorhofflimmern, einer gefährlichen Herzrhythmusstörung.
Literatur und weiterführende Links
1. Encke, A. / Haas, S. / u.a.: S3-Leitlinie: Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE). Zweite komplett überarbeitete Auflage, Marburg: AWMF-Institut für Medizinisches Wissensmanagement, 2015.
2. Aktories, K. / Förstermann, U. / Hofmann, F. B. / Starke, K.: Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. 9. Auflage, München: Urban & Fischer, 2004, S. 531.
3. Aliud Pharma GmbH: Gebrauchsinformation Heparin AL Gel 30.000. April 2010 (PDF).
4. Lüllmann, H. / Mohr, K.: Pharmakologie und Toxikologie: Arzneimittelwirkungen verstehen – Medikamente gezielt einsetzen. 16. Auflage, Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 2006, S. 181.
5. Mutschler, E. / Geisslinger, G. / Kroemer, H. K. / Menzel, S. / Ruth, P.: Mutschler Arzneimittelwirkungen. Pharmakologie − Klinische Pharmakologie − Toxikologie. 10. Auflage, Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2012, S. 478 f.
AQUA-Institut: Thrombose, Diagnostik und Prophylaxe. Im Rahmen des Vertrags zur Versorgung in dem Fachgebiet der Orthopädie in Baden-Württemberg gemäß § 73c SGB V zwischen AOK Baden-Württemberg, BNC, Bosch BKK, BVOU und MEDIVERBUND AG. Göttingen: AQUA – Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH, 2017.
FAQ - Häufig gestellte Fragen zu Heparin
Was ist Heparin?
Heparin ist eine Gruppe von körpereigenen Glykosaminoglykanen, die hemmend auf die Gerinnungskaskade wirken und daher therapeutisch als Antikoagulantien verwendet werden. Diese Moleküle bestehen aus unverzweigten Ketten von sulfatierten Saccharidbausteinen, die Glucosamin, Glucuronsäure und Iduronsäure enthalten.
Wie wirkt Heparin?
Heparin bindet an den Serinprotease-Inhibitor Antithrombin III und verstärkt dessen Wirkung um etwa das Tausendfache, was die Blutgerinnung hemmt. Es verhindert, dass das Blut im Körper gerinnt, indem es in den Gerinnungsprozess eingreift und das Verkleben der Blutplättchen verhindert.
Wofür wird Heparin verwendet?
Heparin wird zur Vorbeugung und Behandlung von Thrombosen und Verschlusserkrankungen der Venen und Arterien eingesetzt. Es wird auch bei Operationen oder Dialyse verwendet, um das Verklumpen des Blutes zu verhindern. Zudem findet es Anwendung in Salben, Gelen oder Cremes zur Behandlung von Schwellungen, Blutergüssen und Venenentzündungen.
Welche Formen von Heparin gibt es?
In der medizinischen Therapie wird Heparin in zwei Formen verwendet: als hochmolekulare und niedermolekulare Zubereitung. Niedermolekulare Heparine haben eine geringere Häufigkeit von Nebenwirkungen, jedoch auch einen geringeren therapeutischen Effekt auf die Deaktivierung von Thrombin.
Welche Nebenwirkungen hat Heparin?
Die häufigste Nebenwirkung von Heparin sind unerwünschte Blutungen, die dosisabhängig sind. Eine seltene, aber schwerwiegende Nebenwirkung ist die Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT), die zu einem deutlichen Abfall der Thrombozytenzahl führen kann. Bei der äußerlichen Anwendung können Überempfindlichkeitsreaktionen wie Rötung oder Juckreiz auftreten.
Gibt es Kontraindikationen für die Anwendung von Heparin?
Ja, Heparin sollte bei bestimmten Erkrankungen, die eine erhöhte Blutungsneigung zur Folge haben, nicht oder nur mit Vorsicht angewendet werden. Zu den wichtigsten Kontraindikationen gehören aktuelle oder bekannte HIT Typ II, starke Blutungen oder das Risiko für starke Blutungen, sowie bestimmte Anästhesieverfahren.
Kann Heparin während der Schwangerschaft und Stillzeit verwendet werden?
Heparin ist nicht plazenta- oder muttermilchgängig und kann daher während der Schwangerschaft und Stillzeit verwendet werden.
Wie wird Heparin verabreicht?
Heparin wird meist injiziert, da es nicht aus dem Magen-Darm-Trakt aufgenommen wird. Die systemische Anwendung erfolgt als Heparin-Spritze oder -Infusion.
Was ist Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT)?
HIT ist eine seltene Nebenreaktion einer Heparintherapie, die zu einem signifikanten Abfall der Thrombozytenzahl führt. Die Diagnose erfordert spezielle Tests, und die Behandlung beinhaltet die sofortige Absetzung von Heparin und die Einleitung einer alternativen Antikoagulation.
Gibt es Alternativen zu Heparin?
Bei einer bestehenden Allergie gegen Heparin steht das semisynthetische Heparinoid Pentosanpolysulfat als therapeutische Alternative zur Verfügung. Zudem sind mittlerweile auch orale Antithrombotika wie Dabigatran und Rivaroxaban verfügbar