Verletzungsprävention im Sport – Prinzipien statt Pauschallösungen

Jahr für Jahr verletzen sich Millionen Menschen beim Training oder Wettkampf – häufig unnötig. Denn viele dieser Verletzungen lassen sich durch gezielte Prävention vermeiden. Dabei geht es vor allem um ein besseres Verständnis für (Gelenk-)Belastung, Bewegungskontrolle und sportartspezifische Risikofaktoren. Dieser Artikel zeigt, wie Prinzipien statt Pauschallösungen zu mehr Sicherheit im Sport führen.
Vorbeugen statt heilen – lohnt sich das?
Sportverletzungen lassen sich nicht vollständig vermeiden. Dennoch ist es möglich, ihre Häufigkeit und Schwere durch gezielte Maßnahmen deutlich zu reduzieren. Besonders betroffen sind häufig beliebte Ballsportarten, da sie viele Zweikämpfe beinhalten und mit einem hohen Tempo einhergehen.
Allgemeine Ratschläge wie „gut aufwärmen“ oder „Fair Play“ sind zwar wichtig, reichen jedoch oft nicht aus. Wesentlich effektiver sind gezielte Übungen, die die Funktionalität von Gelenken verbessern – und zwar angepasst an die jeweilige Sportart. Auch die Art und Weise, wie trainiert wird, spielt eine entscheidende Rolle. Beim Laufen etwa ist nicht nur die Technik relevant. Ebenso wichtig ist eine schrittweise Steigerung der Belastung, damit sich Gelenke, Knochen und Sehnen anpassen können. Wird dieser Anpassungsprozess vernachlässigt, steigt das Risiko für Überlastungsverletzungen erheblich. Und gerade bei Kontaktsportarten ist es wichtig, Bewegungen des Gegners frühzeitig zu antizipieren, um potenziell gefährliche Kontakte zu vermeiden.
Statt allgemeiner Rezeptlösungen lohnt es sich daher, sportartspezifische Prinzipien zu nutzen. So lassen sich nicht nur akute Überlastungen vermeiden, sondern auch wiederholte Verletzungen – wie etwa eine erneute Luxation – verhindern.
Risikofaktoren erkennen – Verletzungen gezielt vorbeugen
Wer gezielt vorbeugen will, sollte mögliche Risiken frühzeitig erkennen. Besonders anfällig sind Gelenke – zum Beispiel dann, wenn sie in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sind, Muskel-, Gelenk- oder Sehnenschmerzen unter Belastung auftreten oder die Muskulatur schneller ermüdet als erwartet. Auch Schwäche in bestimmten Bereichen kann ein Hinweis sein. Der Körper versucht oft, solche Defizite durch Ausweichbewegungen zu kompensieren: Ein Schulterblatt zeigt sich dann instabil bei Armbewegungen, das Becken kippt oder sinkt ab beim Gehen oder Laufen, oder die Knie weichen von der geraden Beinachse bei Sprüngen ab.

Das linke Bild zeigt die auffällige Motorik des Schulterblatts beim Wanddrücken, das rechte Bild beim Versuch, den Arm zu heben.
Auch die Körperhaltung beeinflusst die Bewegungsmechanik. Ein starker Rundrücken kann etwa die Beweglichkeit der Schulter einschränken und so die Halswirbelsäule schwer belasten, da die Muskulatur rund um das Schulterblatt nicht ausreichend aktiviert wird.

Ein Rundrücken führt zu einer erhöhten Aktivität der oberen und einer verringerten Aktivität der mittleren und unteren Schulterblattmuskulatur.
Umgekehrt kann ein Hohlkreuz auf eine muskuläre Schwäche im Bereich von Bauch oder Hüfte hinweisen – was wiederum zu einer übermäßigen Belastung des unteren Rückens führen kann, insbesondere im Bereich der Iliosakral- und Lumbosakralgelenke.

Ein verstärktes Hohlkreuz kann zu einer Überlastung der Iliosakral- und Lumbosakralgelenke im unteren Rücken führen.
Weitere Risikofaktoren ergeben sich aus der Trainingspraxis und Vorgeschichte: Wer bereits verletzt war, trägt ein erhöhtes Risiko für erneute Probleme.
Eine zu schnelle Belastungssteigerung – etwa um mehr als 60 Prozent innerhalb von vier Wochen – kann den Körper überfordern. Auch ein Positionswechsel oder der Umstieg auf ein höheres Leistungsniveau wirken sich negativ aus, ebenso wie eine Gesamtbelastung von mehr als 16 Trainingsstunden pro Woche. Eine bloße Reduktion des Trainingsumfangs schützt nicht automatisch vor Verletzungen – im Gegenteil: Eine gleichmäßig gesteigerte und gut dosierte höhere Belastung kann präventiver wirken. Und schließlich spielen auch psychosoziale Faktoren eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Screening – ein Schlüssel zur Prävention?
Ein Screening kann Verletzungen zwar nicht vorhersagen, liefert aber wertvolle Hinweise auf mögliche Risikobereiche. Wichtig ist dabei eine umfassende motorische Untersuchung, die sowohl lokale Gelenkfunktionen als auch globale Bewegungsabläufe berücksichtigt. Entscheidend ist, wie sich Strukturen wie Schulterblatt oder Becken während Arm- und Beinbewegungen verhalten. Solche Beobachtungen ermöglichen es, Trainingsinhalte gezielt anzupassen – gerade auch bei der Rückkehr nach einer Verletzung.

Einfache Übungen zum Screening der Hüft- und Schultergelenke
Belastung als Risikofaktor – wie wir sie messbar machen
Im sportlichen Kontext meint „Belastung“ die Beanspruchung des Körpers. Diese kann auf zwei Arten beschrieben werden: objektiv – also als äußere Belastung – und subjektiv – als innere Belastung. Äußere Belastung lässt sich zum Beispiel durch Wurfanzahl, Geschwindigkeit oder Trainingsintensität erfassen, etwa bei Überkopfsportarten wie Volleyball oder Handball. Im Lauf- oder Ballsport wiederum bieten Laufstrecke, Tempo oder Trainingshäufigkeit objektive Anhaltspunkte. Auch der Puls kann Hinweise auf die tatsächliche Belastung liefern.
Die innere Belastung beschreibt dagegen, wie sich das Training für die Sportler:in anfühlt. Sie lässt sich mit kurzen Fragebögen erfassen, etwa mit der Einschätzung, wie anstrengend eine bestimmte Einheit für Schulter, Knie oder Rücken war – meist auf einer Skala von null bis zehn.
Belastung kontrollieren – Verletzungen vermeiden
Gezielt eingesetzte Übungen sind wirksam, wenn sie sinnvoll geplant und regelmäßig durchgeführt werden. Gerade bei Gelenkproblemen, die oft besonders hartnäckig sind, lohnt sich ein präventiver Ansatz. Gute Übungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie einfach umzusetzen und sportartspezifisch angepasst sind. Sie stärken den Körper funktionell, lassen sich leicht in das normale Training oder Aufwärmprogramm integrieren und berücksichtigen individuelle Belastungsgrenzen.
Treten dennoch Beschwerden auf, sollte das Training unbedingt angepasst werden. In vielen Fällen ist eine gründliche körperliche Untersuchung zielführender als eine vorschnelle Bildgebung mittels MRT oder Röntgen.
Schritt für Schritt belastbarer werden
Mehr Belastbarkeit entsteht nicht durch Härte oder Tempo, sondern durch Dauer, Dosierung, Wiederholung und saubere Technik. Langsame, kontrollierte Bewegungen sind dabei effektiver als schnelle, unkontrollierte Abläufe. Für Fußballer und Basketballspieler beispielsweise kann es sinnvoll sein, zunächst längere Strecken mit einer richtigen Technik locker laufen oder Skaten zu können. Überkopfsportler wie Handballer oder Volleyballer profitieren davon, mit richtiger Führung des Schulterblatts ein moderates Gewicht häufig zu bewegen, zu boxen oder längere Strecken zu schwimmen. Entscheidend sind Dauer und Wiederholung – nicht das maximale Gewicht.
Empfehlenswert sind dynamische Kraftübungen für Arme und Beine, kombiniert mit stabilisierenden Elementen für Schulterblatt und Becken. Ebenso wichtig sind funktionelle Bewegungen, die Rumpf, Schulter und Hüfte stärken. Besonders wirksam sind gezielte Hebe- und Rotationsbewegungen: Etwa das Heben, Abspreizen und Außenrotieren des Arms bei gleichzeitig aktiver Kontrolle des Schulterblattes, oder das Strecken, Abspreizen und Außenrotieren des Beins unter Kontrolle des Beckens. Diese Bewegungen fördern die Zentrierung der Gelenkflächen – und machen sie widerstandsfähiger gegenüber Belastung.
Sicher zurück zur vollen Leistung
Auch bei der Rückkehr nach einer Verletzung gelten dieselben Prinzipien – allerdings in kleinerem Umfang. Die Belastung sollte schrittweise gesteigert werden. Dabei gilt: Sobald Beschwerden auftreten, muss das Training angepasst werden.
Die Rückkehr in den Sport sollte idealerweise gemeinsam mit Ärzt:innen, Therapeut:innen und Trainer:innen geplant werden – in einem interdisziplinären Team, das die Belastbarkeit Schritt für Schritt wiederherstellt.
Das Gehirn spielt mit
Bewegungskontrolle ist keine rein körperliche Fähigkeit – auch das Gehirn spielt eine wichtige Rolle. Sportler:innen sollten verstehen, wie sich Schulterblatt und Becken während Arm- und Beinbewegungen verhalten und wie sie diese bewusst steuern können. Wird diese Kontrolle durch gezieltes Training verbessert, kann sie schrittweise automatisiert und in komplexe Bewegungsabläufe integriert werden – etwa beim Tennis, Volleyball oder Basketball.
Dieser Ansatz lohnt sich auch bei einfachen Übungen. Er fördert nicht nur Kraft und Ausdauer, sondern schützt Gelenke und stärkt die Gesamtstabilität des Körpers – eine Grundlage für nachhaltige Leistungsfähigkeit und Verletzungsfreiheit.
Fazit
Verletzungsprävention ist kein starres Programm, sondern ein dynamischer Prozess. Wer seine Bewegungsqualität verbessert, Belastung richtig dosiert und sportartspezifisch trainiert, kann das Risiko für Verletzungen deutlich senken – ganz gleich, ob im Leistungs- oder Freizeitsport. Entscheidend ist, frühzeitig hinzuschauen, funktionelle Defizite zu erkennen und gezielt zu handeln. So wird Prävention nicht zur Pflichtübung, sondern zur echten Investition in Gesundheit und Leistungsfähigkeit.
Der Inhalt dieses Beitrags basiert auf dem Inhalt des Buches „Trainingskonzeption für Patienten mit Rückenschmerz – PhysioNovo – Angewandte Rehabilitation und Sporttherapie“, erschienen beim Springer Nature Verlag. Auf meiner Webseite finden Sie die entsprechenden Referenzen.