Sitzen ist das neue Rauchen - Teil 5: Lösungen und Alternativen
Bisher haben wir uns mit den Risiken sitzender Tätigkeiten beschäftigt und wissen, dass dadurch die Lebenserwartung eingeschränkt wird. Laut einer britischen Studie haben z.B. Busfahrer deutlich mehr Herzinfarkte und andere Herz-Kreislauf-Probleme als Busschaffner, die ständig stehen und gehen.
Wie können wir die Gesundheitsstörungen durch langes Sitzen reduzieren? Bereits fünf Minuten Bewegung alle 30 Minuten senken die Risiken deutlich. Wissenschaftler aus den USA kommen in einer Studie mit über 25.000 Frauen zu dem Ergebnis, dass mit nur wöchentlich einer Stunde raschem Gehen (schneller als fünf Kilometer pro Stunde) der Entwicklung einer Herzinsuffizienz vorgebeugt werden kann. Eine andere Untersuchung bestätigt den günstigen Einfluss täglichen Gehens auf das Herz-Kreislauf-System. Dabei müssen es nicht die immer wieder genannten 10.000 Schritte sein, sondern die Anfang 60 Jahre alten Studienteilnehmer profitierten bereits von 6.000 bis 9.000 Schritten täglich und konnten damit ihr Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um bis zu 38 % vermindern. Der größte Effekt wird bei den ersten 6.000 Schritten erzielt. Noch genauere Aussagen liefert eine Veröffentlichung im British Journal of Sports Medicine (BMJ), Band 58, vom Januar 2024 (Quelle).
Eine Studie mit über 72.000 Teilnehmern ergab, dass sich ab täglich 2.200 Schritten das Sterblichkeits- und kardiovaskuläre Risiko verringert, die Mindestdosis für Menschen mit sitzender Tätigkeit zwischen 4.000 und 4.500 Schritten beträgt, das geringste Sterblichkeitsrisiko aber bei 9.000 bis 10.500 Schritten liegt, und zwar - das ist bemerkenswert - unabhängig von der täglichen Sitzdauer. Bei weniger Schritten wirkt sich eine längere Sitzdauer jedoch ungünstig aus. Bei gleicher täglicher Schrittzahl ist das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen für Menschen mit geringer Sitzdauer ca. 10 % geringer als für Menschen mit langer Sitzdauer.
Welche Möglichkeiten haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer, den Arbeitsplatz ergonomisch zu gestalten? Arbeitgeber können zwar geeignete Büromöbel wie verstellbare Bürostühle, höhenverstellbare Tische und Pulte zum Arbeiten im Stehen zur Verfügung stellen, die Verantwortung für die eigene Gesundheit bleibt aber bei jedem einzelnen Arbeitnehmer. Es sollte das Bestreben sein, so wenig wie möglich zu sitzen. Wenn Aufgaben im Stehen erledigt werden können, sollte das auch getan werden: z.B. Aufstehen beim Telefonieren oder ein Stehpult benutzen. Wenn der Bürotisch groß genug ist, könnte er an einer Seite mit einem Aufsatz zum Stehpult umgerüstet werden. Ein häufiger Wechsel zwischen Sitzen und Stehen aktiviert vor allem die Bein- und Rückenmuskeln. Die Durchblutung wird gefördert, die Bauchorgane werden entlastet und der Kreislauf wird angeregt.
Wenn längeres Sitzen erforderlich ist, sollten Bürostuhl, Tisch und Bildschirm ergonomisch auf die eigenen Körpermaße eingestellt werden: Die Sitzfläche hat die richtige Höhe, wenn Sie sich aufrecht mit Ihrem Rücken an der Rückenlehne befinden und beide Füße flach auf dem Boden stehen. Ihre Kniegelenke sind dann so weit gebeugt, dass Ober- und Unterschenkel einen Winkel von 90 bis 100 Grad bilden. Die Höhe der Armlehnen ist richtig eingestellt, wenn die Ellenbogengelenke rechtwinklig gebeugt sind. Gute Bürostühle haben eine sog. Lordose-Stütze, die der Lendenwirbelsäule bei ihrer Wölbung nach vorne Halt gibt. Sie ist gut eingestellt, wenn sich der untere Rücken wohlfühlt und sie nicht drückt. Oft hat man die Wahl, ob man die Rückenlehne fest oder flexibel einstellt. Das Sitzen wird dynamischer, wenn die Rückenlehne flexibel ist und sich ihr Anlehndruck angenehm anfühlt. Der Arbeitstisch hat die optimale Höhe bei Einstellung auf die Höhe der Armlehnen. Wenn Sie aufrecht sitzend die Hände vor sich flach auf den Tisch legen, sollten Ober- und Unterarme einen Winkel von 90 Grad haben. Haben Sie an Ihrem Arbeitsplatz keinen höhenverstellbaren Schreibtisch, und der Tisch ist für Ihre Körperproportionen zu niedrig oder zu hoch, können Sie sich trotzdem behelfen: Erhöhen Sie einen zu niedrigen Tisch mit Bierdeckeln oder Holzplatten unter den Tischbeinen oder dem Tischgestell. Achten Sie dabei immer auf den sicheren Stand des Tisches. Bei einem zu hohen Tisch können Sie Ihren Bürostuhl nach oben in der Höhe anpassen, so dass die Armlehnen die Höhe der Arbeitsplatte erreichen. Da nun die Füße nicht mehr flach auf dem Boden stehen, benötigen Sie eine Fußstütze. Nehmen Sie diese Anpassungen nicht vor, ziehen Sie bei einem zu hohen Tisch die Schultern nach oben, was zu Nacken- und Schulterverspannungen führt, oder entwickeln bei zu niedrigem Tisch einen Rundrücken mit Muskelverkürzungen.
Zur korrekten Position des Bildschirms: Er sollte nicht vor einem Fenster stehen, da Tageslicht und Schatten die Augen überanstrengen. Er sollte auch nicht in Ihrem Rücken sein, da störende Reflexionen auftreten. Die beste Position ist rechtwinklig zum Fenster. Dabei sollte der Monitor frontal und mittig auf dem Schreibtisch stehen und parallel zur Tischvorderkante ausgerichtet sein, damit Sie sich nicht in der Wirbelsäule verdrehen. Die Entfernung zu den Augen ist von der Bildschirmgröße abhängig. Ein angenehmer Sehabstand liegt zwischen 50 und 90 cm. Ganz wichtig – und leider oftmals falsch eingestellt – ist die richtige Höhe des Bildschirms. Die Oberkante des Monitor-Sichtfeldes sollte auf Augenhöhe sein! Bei dieser Höhe ist der Kopf leicht nach unten geneigt, was die Halswirbelsäule in eine mittlere Position bringt und die Nackenmuskeln entspannt.
Sollten Sie aufgrund von Rücken- oder Wirbelsäulenerkrankungen eine ergonomische Arbeitsplatzzurichtung benötigen, können Sie sich von Ihrem Orthopäden ein entsprechendes Attest für den Arbeitgeber ausstellen lassen. In den meisten Fällen kann man sich einigen. Das gilt übrigens auch für einen Home-Office-Arbeitsplatz. Als Alternativen zu Bürostühlen gibt es u.a. den Kniestuhl, eine Stehhilfe, einen Sattelhocker, einen Federstuhl oder den Sitzball. Es können auch Hilfsmittel benutzt werden wie Keilkissen oder sog. Balancekissen. Wer lange sitzen muss, sollte das Sitzen so variieren, dass aus einer statischen Sitzposition eine dynamische wird, die die Muskulatur aktiviert. Grundsätzlich sollte man in jeder Stunde mindestens einmal aufstehen. Mit kleinen Tricks gelingt das auch: Trinken Sie jede Stunde ein Glas Wasser und füllen Sie es in einem anderen Raum wieder auf. Stellen Sie Arbeitsgeräte wie Drucker, Kopierer etc. nicht in direkter Nähe, sondern in einem anderen Raum auf. Platzieren Sie den Papierkorb in eine Ecke des Zimmers und bringen Sie jedes Stück Abfall sofort dahin. Machen Sie regelmäßig Toilettenpausen. Im Home-Office können Sie zusätzlich ungestört jede Stunde Kniebeugen, Hampelmann und Armgegenkreisen machen.
Je länger man sitzt, desto wichtiger sind körperliche Aktivitäten zum Ausgleich. Muskeln und Gelenke müssen bewegt werden, damit sie nicht verkümmern. Neben Walken/Wandern ist Rudern an einem Ergometer geeignet, da bis zu 80 % aller Muskeln beteiligt sind. Bereits vermeintlich geringe Änderungen eingefahrener Gewohnheiten können die ungünstigen Folgen langen Sitzens kompensieren: Benutzen Sie Treppen statt Aufzüge, Radfahren ist besser als Autofahren und Gehen Sie kurze Strecken zu Fuß, z.B. zum Briefkasten oder Bäcker.
Im 6. und letzten Teil werden wir einen Blick in die Zukunft wagen und überlegen, was wir als Gesellschaft gemeinsam tun können, um unsere Gesundheit zu erhalten.
Weitere interssante Infomationen finden Sie in dem Buch „ORTHOPÄDIE VERSTEHEN“ von Herrn Dr. med. Jürgen Kosel.
Informationen zum Buch
ORTHOPÄDIE VERSTEHEN, Herausgeber: BoD – Books on Demand, ISBN: 978-3-7534-8003-9, Autor: Dr. med. Jürgen Kosel, 546 Seiten, Preis: 38,80 €
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