Richtiges Aufwärmen: So lässt sich die Hälfte aller Verletzungen vermeiden

Wie man nicht nur auf der Skipiste sein Verletzungsrisiko verringert, wer für Kreuzbandrisse besonders anfällig ist, und warum Aufwärmen mehr hilft als Dehnen - ein Orthopäde erklärt, wie es geht.
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Herr Rauch, es ist Ski-Saison, und eine der klassischen Verletzungen im Schnee ist die des Kreuzbands. Sind die vornehmlich saisonabhängig, oder gehören sie einfach generell zu den häufigen Verletzungen beim Sport?

Das ist jetzt saisonal. Häufig gehen bei Stürzen die Skibindungen nicht auf. Da kommt es zu Scherbewegungen und dadurch zu Kreuzbandverletzungen, egal, ob Leute sportlich trainiert sind oder nicht. Es werden sicherlich mehrere zehntausend Kreuzbandverletzungen pro Jahr in Deutschland operiert. Es ist eine schwere Knieverletzung, bei der man immer abwägen muss, wer operiert wird. An erster Stelle der Verletzungen stehen aber Bänderdehnungen und kleinere Muskelverletzungen.

Von jährlich 1,5 Millionen Sportunfällen hierzulande müssen 80 Prozent behandelt werden. Mit welchen Verletzungen kommen Patienten zu Ihnen?

Die häufigsten sind Sprunggelenkverletzungen mit Zerrungen oder Außenbanddehnungen und viele Muskelverletzungen bis hin zum Muskelfaserriss. Das sind Verletzungen, die problemlos ausheilen. Dann sieht man auch häufig Knieverletzungen und je nach Sportart, bei Handballern etwa, Schulter-, Ellbogen- oder Fingerverletzungen.

Wie viele davon könnten durch ein angemessenes Aufwärmprogramm verhindert werden?

Wenn wir auf den Spitzensport zurückgreifen, wo es validere Zahlen gibt, kann man durch optimale vorbeugende Maßnahmen gerade Muskelverletzungen und vordere Kreuzbandverletzungen um die Hälfte reduzieren. Und zwar, indem man die Muskulatur aufwärmt, eben auch die Rumpfmuskulatur trainiert und die Stabilität verbessert. Es geht nicht nur darum, dass man die Beinmuskulatur trainiert.

Weil es noch eine Menge anderer Übungen gibt, die helfen, den Körper zu stabilisieren?

Richtig. Es gibt bestimmte Sportarten wie Skifahren, Tennis oder Golf, die leider viele Menschen ohne jegliche Vorbereitung machen. Gerade beim Skifahren gibt es viele, die fahren einmal im Jahr Ski, fahren mit dem Sessellift hoch, kommen oben am Berg an und fahren völlig kalt los. Da ist das Verletzungspotential natürlich größer. Es wäre schön, wenn man erreichen könnte, dass sich mehr Menschen vorbereiten, zum Beispiel mit einer Skigymnastik, bei der Sprungübungen gemacht werden, das einseitige Belasten der Beine trainiert wird, dazu Stabilisierungs- und Rumpfmuskelübungen, damit der ganze Körper optimal reagieren kann. Am besten trainiert man noch das Fallen und Abrollen, um in Grenzsituationen reagieren zu können, wenn zum Beispiel der Ski anfängt zu rutschen.

Viele sagen: Aufwärmen - das brauche ich nicht. Wie bekommen solche Amateursportler das doch in ihren Sport integriert?

Indem man zum Beispiel zum Tennis mit dem Fahrrad fährt und dann wenigstens für zehn Minuten noch ein bisschen Aufwärmtraining macht. Es ist natürlich immer schwierig, das in die Gewohnheiten von älteren Sportlern hineinzubekommen. Deshalb haben die Fifa und andere Sportverbände schon bei Jugendlichen angefangen, Aufwärmprogramme fest zu implementieren, damit die das von Anfang an machen und damit das Verletzungsrisiko um die Hälfte abgesenkt wird.

Gibt es eine Gruppe, die besonders anfällig ist für Sportverletzungen?

Frauen sind leider zwischen zwei- bis achtmal häufiger von Kreuzbandverletzungen betroffen. Das kann damit zusammenhängen, dass Frauen häufiger das Bein als X-Bein belasten. Deshalb muss man darauf achten, dass man die Beinmuskulatur gut auftrainiert, damit diese leichte X-Stellung vermieden wird. Gleichzeitig kann man Einlagen verordnen. Wichtig sind Stabilitätsübungen, aber auch Übungen für schnelle Richtungswechsel und Abstoppbewegungen. In der Regel sind ältere Patienten eher gefährdet, weil sie schlechter fallen und häufig langsamer reagieren. Und wenn Sie die Kombination aus Übergewicht, schlechter Beweglichkeit und schlechtem Trainingszustand haben, sind Sie natürlich potentiell gefährdeter, als wenn Sie vollkommen durchtrainiert sind.

Stimmt es, dass statisches Dehnen vor dem Sport gar nicht so zielführend ist?

Die kalte Muskulatur maximal zu dehnen ist sicher nicht günstig. Es ist besser, man macht sich warm, geht im Fitnessstudio zum Beispiel aufs Laufband oder aufs Fahrrad und macht dann die Übungen. Ich würde Dehnungsübungen in kaltem Zustand und mit maximaler Kraft nicht empfehlen. Das kann eher zu Beschwerden führen. Dynamisches Dehnen nach dem Aufwärmen gehört auch dazu, aber eben nicht exzessiv. Genauso wie Faszienrollen sehr gut sind, um die Muskulatur warm zu machen. Es geht ja nicht nur um die Muskeln, sondern auch um die Sehnen und die Faszien.

Also ab auf die Rolle. Bringt das eher etwas vor oder nach dem Sport?

Man kann beides machen. Natürlich ist es gut, wenn ich auch hinterher ein leichtes Dehnungsprogramm mache, aber das fällt selbst im Spitzensport schwer. Manchmal haben Sie keine Lust mehr. Dann werden Sie eher auslaufen, andere nehmen ein Kältebad. Cooldown ist immer gut. Generell kein Alkohol, denn der blockiert alle Regenerationsprozesse. Und bei Spitzensportlern achtet man darauf, dass sie genug Schlaf kriegen, dass sie genügend regeneratives Training machen, gerade in den englischen Wochen mit vielen Spielen.

Die Empfehlung lautet also, sich auch mal eine Pause zu gönnen?

Genau. Belastung und Entlastung sind in das richtige Verhältnis zu setzen. Je nach Trainingszustand ein, zwei Tage Pause machen, ruhig mal ein leichtes Lauftraining einstreuen. Und ansonsten lieber mehrere Wiederholungen mit submaximaler Kraft als Maximalkraft - das ist ganz wichtig.

Sie empfehlen, auf den eigenen Körper zu achten und das individuelle Optimum zu finden. Gibt es da eine Faustregel?

Die Faustregel heißt, dass man einen Puls von 180 minus Lebensalter nicht übersteigt. Dann hängt es vom Gewicht und vom Trainingszustand ab. Dass man in sich hineinhört, wenn man neu anfängt, sich auch mal hausärztlich und kardiologisch durchchecken lässt und dass Gewichtsoptimierung dazukommt. Wenn Sie zum Beispiel an Arthroseschmerzen leiden und dann zehn Prozent Ihres Körpergewichts reduzieren, haben Sie um die Hälfte weniger Schmerzen. Und wichtig: Eine Sportart aussuchen, die einem auch Freude macht.

Wo findet man Aufwärmübungen?

Zum Beispiel bei der Deutschen Kniegesellschaft (Programm Stopp X), bei DFB/Fifa (Fifa 11+) oder der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft VBG (4x4 des Handballs).

Weitere Informationen finden Sie in folgendem Podcast.

Quelle

FAZ.NET vom 09.02.2019 von Felix Hooß; Titel in der Printausgabe der F.A.S.: „Am besten trainiert man auch das Fallen“
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv

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