Interview: „Es gibt noch großen Forschungsbedarf“

Forscher aus Frankfurt gehen den Ursachen und der Entstehung der Arthrose auf den Grund.
Prof. Dr. Frank Zaucke © Anne Faulmann

Frankfurt am Main – Etwa fünf Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Arthrose. Die degenerative Krankheit ist die weltweit häufigste Gelenkerkrankung. Die Früherkennung und Behandlung der Arthrose ist allerdings nach wie vor meist schwierig. Ein neuer Forschungsbereich, der vor wenigen Monaten an der Orthopädischen Universitätsklinik Friedrichsheim in Frankfurt eingerichtet wurde, will nun die Mechanismen der Arthroseentstehung genauer erforschen. Der Molekularbiologe und Biochemiker Prof. Dr. Frank Zaucke ist Leiter der neuen Forschungseinheit. Im Interview spricht er über die Ziele seiner Forschung und darüber, was man bereits über die Entstehung der Arthrose weiß.

Orthinform: Prof. Zaucke, die Arthrose ist ein chronischer Gelenkverschleiß, bei dem es zu einem vorzeitigen Abbau des Knorpels und damit zu Schmerzen und einem zunehmenden Gelenkversagen kommt. Was ist bisher über die Entstehung der Erkrankung bekannt?
Prof. Dr. Frank Zaucke:
Man kennt einige Prozesse, die bei der Entstehung der Arthrose ablaufen. Hierbei muss man aber erst einmal zwischen verschiedenen Formen der Arthrose unterscheiden. Denn es gibt auch die posttraumatische Arthrose, bei der es, etwa durch einen Sportunfall, zu einem plötzlichen Knorpelverlust aufgrund des Traumas kommt. In diesem Fall hat der Patient ein akutes Problem. Das ist ein ganz anderer Verlauf als bei der altersbedingten Arthrose. Hier sind komplexe Mechanismen für den Knorpelverlust verantwortlich, die wir in Teilen bereits verstehen, aber noch nicht vollständig. Eins ist klar: Wir können die altersbedingte Arthrose weder verhindern noch aufhalten, aber auf jeden Fall verlangsamen und vorbeugen.

Orthinform: Welche Möglichkeiten zur Vorbeugung gibt es? Wo liegen die Ursachen und Risikofaktoren der Arthrose, abgesehen von Verletzungen und dem Alter?
Zaucke:
Auch Übergewicht ist ein häufiger Risikofaktor für Arthrose. Hier spielt nicht nur die stärkere mechanische Belastung des Knorpels eine Rolle, sondern wahrscheinlich auch bestimmte Hormone und Botenstoffe, die in veränderter Konzentration freigesetzt werden und so auf den Knorpel einwirken. Das bedeutet aber auch: Man kann diesen Prozess durch Ernährung positiv beeinflussen. Anders ist es zum Beispiel bei Faktoren wie dem Geschlecht oder den Genen, die das Risiko für eine Arthrose ebenfalls erhöhen können. Wie im Fall der Osteoporose sind Frauen ja deutlich häufiger von altersbedingter Arthrose betroffen als Männer. Auch eine Fehlbelastung durch genetisch bedingte Fehlstellungen, zum Beispiel ausgeprägte X- oder O-Beine, kann sekundär zu einer Arthrose führen. Außerdem können nicht nur eine Sportverletzung, sondern auch übertriebener Sport und eine zu starke Belastung der Gelenke eine Arthrose verursachen.

Orthinform: Was passiert bei der altersbedingten Arthrose auf zellulärer Ebene?
Zaucke:
Im Verlauf der Arthrose werden nacheinander zuerst einzelne Proteine und dann die Kollagenfasern der sogenannten extrazellulären Matrix abgebaut, bis am Ende gar nichts mehr übrig ist. Diese spezifische Abfolge von Abbaureaktionen verstehen wir bereits ziemlich gut. Das Problem ist, dass die Knorpelzellen die extrazelluläre Matrix bereits sehr früh in unserem Leben produzieren und dann ihre Arbeit weitgehend einstellen. Es findet kein kontinuierlicher Auf- und Abbau statt, der sich die Balance hält – so wie etwa beim Knochen, wo es spezialisierte Zellen für den Knochenaufbau und für den Knochenabbau gibt. Man könnte also einerseits versuchen, den Abbau der extrazellulären Matrix zu hemmen, indem man die bereits bekannten Enzyme hemmt, die diesen Abbau verursachen. Der zweite große Angriffspunkt wäre es, die Knorpelzellen in einer frühen Phase der Erkrankung zu motivieren, die extrazelluläre Matrix erneut zu produzieren.

Orthinform: Sie sind seit Kurzem Leiter des neuen Arthrose-Forschungsbereichs in Frankfurt. Was sind Ihre Ziele?
Zaucke:
Wir wollen vor allem bei einer früheren Diagnose der Krankheit ansetzen. Denn meist besteht das Problem gerade darin, dass der Patient erst zum Arzt kommt, wenn er Schmerzen hat. Es wäre sehr sinnvoll, deutlich früher erkennen zu können, dass erste Abbauprozesse im Gange sind – zum Beispiel durch die Identifizierung bestimmter prognostischer Biomarker im Blut, die auf Knorpelabbauprodukte hinweisen. Außerdem arbeiten wir an möglichen Hemmstoffen für die bereits bekannten Proteasen – die Enzyme, die die Proteine der extrazellulären Matrix abbauen – und daran, diese Hemmstoffe auch gezielt zum Knorpel zu bringen. Denn der Körper hat sich diese Proteasen ja nicht nur ausgedacht, um Knorpel abzubauen. Wahrscheinlich spielen sie an anderer Stelle in bestimmten Situationen sogar eine wichtige Rolle, sodass durch die Hemmung des Knorpelabbaus auch uns noch unbekannte Nebenwirkungen entstehen könnten. Es gibt also noch großen Forschungsbedarf.

Orthinform: Wie genau gehen Sie dafür an dem neuen Forschungsbereich in Ihrer Forschung vor?
Zaucke:
Wir planen, Blutproben verschiedenster Patienten zu sammeln und diese zu vergleichen – anhand des Alters, des Geschlechts und der Art der Arthrose, von der sie betroffen sind. Diese Proben werden wir außerdem auch mit denen von gesunden Patienten vergleichen, um potenzielle Marker zu identifizieren, die wir routinemäßig untersuchen könnten. Zudem werden wir anhand von Zell- und Gewebekulturen die Abbauprozesse weiter untersuchen – vor allem auch, um noch besser nachvollziehen zu können, wie die Abbauprodukte den Knorpelabbau weiter beeinflussen oder vielleicht sogar verschlimmern. Denn eine Idee ist es auch, dass sich bestimmte Zellen durch die Abbaufragmente des Knorpels vielleicht dazu stimulieren lassen, entzündliche Faktoren freizusetzen und es so sekundär zu einer Entzündung kommt, die auch wieder Schmerzen verursacht. Hier könnte man dann zum Beispiel auch mit entzündungshemmenden Medikamenten arbeiten.

Das Interview führte Anne Faulmann.

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