Handynacken – wie Smartphones der Gesundheit schaden

Das Smartphone ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Wir sind immer und überall erreichbar, schreiben lieber stundenlang hin und her, anstatt einmal kurz anzurufen.
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Wir gucken nicht nur auf die Nachrichten von unserer Familie und unseren Freunden, sondern auch auf die aus der ganzen Welt, auf Fotos, Videos, Wetter, Zugverbindungen, Gaststätten- und Arztbewertungen, holen uns all das Wissen, was bisher in Meyers großen Lexika über Meter verteilt auf Bücherregalen stand (bei eBay – Kleinanzeigen 24 Bände für 1 Euro zu verkaufen!), binnen Sekunden auf unser Gerät und damit in unsere Sinne. Wir brauchen keine Atlanten und keine Autokarten mehr. Wir verlassen uns auf die Navigation. Wir kaufen vom Handy aus ein, lassen uns die Einkäufe vor die Wohnungstür fahren.

Auf den Straßen laufen inzwischen die meisten (jüngeren) Menschen mit gesenktem Haupt, nehmen kaum Ampel und Autos, schon gar nicht ihre Mitmenschen wahr. Man redet nicht mehr miteinander, man schaut sich nicht mehr an. Ein Patientenvater sagte mir neulich, er hätte schon mehrere Jugendliche beinahe totgefahren. Sie trugen auch noch Kopfhörer auf ihrem gesenkten Kopf und rannten ihm direkt vor das Auto...

Ein ständig geneigter Kopf führt zur Überlastung der Halswirbelsäule. Muskelverspannungen und Schmerzen im Schulter-Nacken-Bereich sind die Folge. Untrainierte Rückenmuskeln begünstigen den sogenannten Handynacken. Unser Kopf, der eine Masse von sechs Kilo besitzt, lässt bei einer Neigung von 15 Grad nach vorn schon eine zusätzliche Kraft von 13 Newton auf den Rücken wirken. Der Blick auf das Handy erfordert jedoch meist einen Winkel von mehr als 45 Grad. Das wären etwa 25 Newton. Eine Halskette mit einem Wägestück von 2,5 kg könnte diese Belastung simulieren. Hält diese Haltung über mehrere Stunden an, etwa beim Lesen eines E-Books und Arbeiten am Tablet oder Smartphone, werden Muskeln, Sehnen und Bandscheiben erheblich strapaziert und die Halswirbelsäule wird überlastet.

Das kann zu dauerhaften Muskelverhärtungen, Schmerzen und Fehlstatik führen. Vorzeitige Verschleißerscheinungen sind die Folge.

Ob vor dem Smartphone, am Schreibtisch oder über den Büchern: folgende Tipps helfen auch schon bei Jugendlichen, eine Überlastung der Halswirbelsäule zu vermeiden:

  • Regelmäßig Pausen einlegen und zwischendurch Lockerungsübungen machen: Den Kopf von rechts nach links bewegen und das Ohr zur jeweiligen Schulter senken, bis ein Ziehen in der Halswirbelsäule spürbar wird. Den Kopf nach oben strecken und die Schultern nach unten ziehen. Kinn an die Binde, Doppelkinn machen.
  • Mobile Geräte näher vor das Gesicht bringen und lieber die Augen senken als Kopf und Nacken. Immer wieder die Haltung überprüfen und diese gegebenenfalls korrigieren.
  • Auf die richtige Sitzposition am Schreibtisch achten: Wer viele Stunden am Computerbildschirm sitzt, sollte eine rückenfreundliche Grundhaltung einnehmen. Denn nach Stunden vor dem PC sacken viele in sich zusammen, was zu Rückenschmerzen führen kann. Deshalb ist es besser, mit entspannten Schultern gerade zu sitzen und dabei die Füße am Boden nebeneinander zu stellen. Zwei- bis dreimaliges Aufstehen in der Stunde fördert dynamisches, rückenfreundliches Sitzen. Da im Idealfall die oberste Bildschirmzeile unterhalb der Augenhöhe liegen sollte, sind höhenverstellbare Stühle und Bildschirme sinnvoll.
  • Zur Stärkung der Muskulatur mindestens ein- bis zweimal in der Woche Sport treiben, außerhalb des Schulsports: Ideal sind Schwimmen, Pilates, Walking mit intensiver Armmitnahme oder Yoga.
  • Den Rücken stärken durch Rückengymnastik: Übungen zur Stärkung der Rückenmuskulatur sollten in den täglichen Tagesablauf eingebaut werden.
  • Bewegung im Alltag fördern: Viele Menschen unterschätzen, dass schon leicht umzusetzende Aktivitäten die Rückenmuskulatur stärken. Wer also viel sitzt, sollte jede Gelegenheit nutzen, um sich zu bewegen, beispielsweise die Rolltreppe meiden und Treppen steigen, kurze Strecken zu Fuß oder mit dem Rad zurücklegen anstatt mit dem Auto zu fahren oder sich fahren zu lassen.
  • Falsche Bewegungen vermeiden: Beim Heben schwerer Gegenstände in die Knie gehen und dabei den Rücken gerade halten. Das schont den Rücken und die Bandscheiben.

Meine Erfahrungen aus der Sprechstunde: Haltungsauffälligkeiten und Nacken/Rückenschmerzen bei Jugendlichen sehe ich relativ häufig. Die Schultern fallen nach vorn, der Rücken ist rund, der obere Rand des Trapezmuskels an den Schultern ist schmerzhaft und verspannt. Besonders auffällig ist oft eine erhebliche Verkürzung der rückseitigen Oberschenkelmuskulatur, meist vom vielen Sitzen. Es ist nicht selten und erschreckend, dass manche junge Menschen das gestreckte Bein nicht über 60° heben können, ohne dass das andere Bein mitkommt und dass das alles sehr schmerzt. Oftmals können die Jugendlichen kaum einen einzigen sauberen Liegestütz vorführen, ich sehe eine jämmerliche Quälerei!

Die Behandlung der Beschwerden besteht erst einmal in einer ausführlichen Beratung (z.B. Brust rausstrecken, also «Goldmedaille zeigen», Doppelkinn machen, also Hals nach hinten nehmen, Schultern aufrichten und gedanklich in die hintere Hosentasche stecken) und der Demonstration oder Erklärung der wichtigsten Übungen. Nur in schweren Fällen wird der junge Patient zum Krankengymnasten geschickt.

Ich habe gelernt, dass man keine teuren Geräte braucht und auch keine Physiotherapie und keine Fitnessclub-Mitgliedschaften, wenn man nur drei Grundübungen regelmäßig zu Hause durchführt. Das sind: Kniebeugen, Klimmzüge, Liegestütze! Man muss es nur tun! Mit diesen Übungen werden alle wichtigen Muskelgruppen trainiert. Das wussten schon die Sportlehrer in meiner Kindheit und Jugend. Und diese Wahrheit bleibt bestehen! Seitdem der junge Eric sonntags in meinem Fitnessstudio Kurse gibt und auch mich mächtig quält, stehe ich beim Zähneputzen stets auf einem Bein, manchmal sogar in der Standwaage. Zumindest ersteres sollten alle halbwegs gesunden Menschen tun, um ihre Koordination, ihr Gleichgewicht und ihre Kraft zu trainieren. Das geht ganz nebenbei und erfordert keinen Aufwand!

Eric fängt immer mit Hängen, Hocken und Vorbeugen an.

Im Folgenden stelle ich einige seiner Lieblingsübungen vor, welche inzwischen auch meine geworden sind und auch beim Handynacken erfolgreich eingesetzt werden können:

©Petra Höfert/Eric Steinborn

1. Brücke ganz langsam vor und zurück machen, das dehnt den Nacken und die Brustwirbelsäule sehr stark und mobilisiert. Eric macht keine Kraftübungen, ohne vorher hinreichend mobilisiert zu haben.

©Petra Höfert/Eric Steinborn

2. Standwaage mit Armbewegungen

©Petra Höfert/Eric Steinborn

3. Rumpfheben mit Gewichten und Bewegung der Arme

©Petra Höfert/Eric Steinborn

4. Sehr beliebt: Trockenschwimmen, am besten mit Gewicht

©Petra Höfert/Eric Steinborn

5. Auch sehr beliebt: der Plank (Rumpfstabilisierung) mit Anheben je eines Beines

Diese einfachen Übungen (60 – 100 Wiederholungen mit kurzen Pausen) können Eltern mit ihren halbwüchsigen Kindern machen, wenn generationenübergreifend ein Handynacken droht oder bereits schmerzt.

Abschließend möchte ich hinweisen auf Videos von Liebscher und Bracht und StrongandFlexTV. Hier sind viele praktikable Übungen für zu Hause zu finden.

Auch das Buch und die Übungen Hopmop von Rehberger und Wydler sind sehr zu empfehlen. Da geht es mit viel Humor um Fitnessübungen im Alltag bei der Hausarbeit. Durchaus geeignet für Jugendliche, die ja auch auf diesem Gebiet lernen müssen und einbezogen werden sollten.

Es ist ein weites Feld (nach Theodor Fontane).

Wir müssen achtsam mit uns umgehen und besonders auch unsere Kinder und Enkelkinder in dieser neuen digitalen Welt vor den Nachteilen schützen, welche diese unweigerlich mit sich bringt.

Dr. med. Petra Höfert

Orthopädische Praxis in Potsdam-Babelsberg

Dieser Beitrag ist erstmalig erschienen in:

Praxis Arena 2019/1, Schweizerischer Verband Medizinischer Praxis-Fachpersonen

Ärzte mit Spezialisierung auf Kopf und Nacken und Schmerztherapie in der Umgebung von Ashburn

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